Leitsatz (amtlich)

Ein Versicherungsträger darf einen fehlerhaften Rentenbescheid grundsätzlich nur dann zurücknehmen oder zum Nachteil des Versicherten ändern, wenn dafür eine gesetzliche Regelung besteht. Die allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätze über die Rücknahme begünstigender Verwaltungsakte sind ausnahmsweise anwendbar, wenn das Rücknahme- und Änderungsrecht nicht vollständig geregelt und deshalb eine Gesetzeslücke anzunehmen ist.

 

Verfahrensgang

SG Speyer (Urteil vom 23.03.1976; Aktenzeichen S 12 A 10/75)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 22.09.1981; Aktenzeichen 1 RA 109/76)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 23. März 1976 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die dem Kläger im Berufungsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich dagegen, daß die Beklagte eine bei seinem Altersruhegeld ursprünglich angerechnete Ersatzzeit nachträglich in Wegfall gebracht hat.

Der am … 1907 geborene Kläger trat im November 1926 in den Dienst der Bayerischen Landespolizei ein. Vom 1. Januar 1939 bis zum 8. Mai 1945 war er Angehöriger der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) gewesen und in dieser Zeit anfangs während des Polenfeldzugs und nach einer Zeit der Krankheit ab Oktober 1939 dann Herbst ab 1940 bis zum Kriegsende in Norwegen eingesetzt worden. Er geriet in Norwegen in britische Gefangenschaft und wurde später nach Deutschland verlegt. In seinem Entlassungsschein vom 18. Mai 1948 heißt es, er sei seit 10. Mai 1945 interniert gewesen. Der Kläger leistete ab Juli 1948 Beiträge zur Rentenversicherung. Er erhält Versorgungsbezüge als ehemaliger Kriminalsekretär nach dem Gesetz zu Artikel 131 Grundgesetz (G 131). Dabei ist die Zeit des Klägers bei der Gestapo vom 1. Januar 1939 bis zum 8. Mai 1945 nach § 67 G 131 nicht als Dienstzeit angerechnet worden.

Im April 1972 beantragte der Kläger bei der Beklagten das vorgezogene Altersruhegeld. Er gab an, von 21. August 1939 bis Oktober 1939 und von Herbst 1940 bis 8. Mai 1945 Militärdienst geleistet zu haben und von 9. Mai 1945 bis Juni 1947 in Kriegsgefangenschaft gewesen zu sein. Die Beklagte gewährte dem Kläger das vorgezogene Altersruhegeld ab 1. Juli 1972 (Bescheid vom 13. November 1972). Sie rechnete die Zeit von 1939 bis 1945 nicht als Ersatzzeit an, weil der Kläger nicht innerhalb von drei Jahren danach eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen hatte. Die Gefangenschaft ließ sie als Ersatzzeit unberücksichtigt, da es sich nach dem Entlassungsschein nur um eine politische Internierung gehandelt habe, die nicht als Ersatzzeit in Betracht komme. Die daraufhin erhobene Klage nahm der Kläger zurück.

Im März 1973 beantragte der Kläger das Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres. Er wies die Beklagte darauf hin, daß die Zeit von 1939 bis 1945 nunmehr als Ersatzzeit anrechenbar sei, da durch das Rentenreformgesetzes 1972 die frühere Anrechnungsvoraussetzung, daß nämlich innerhalb von drei Jahren nach der Ersatzzeit eine versicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen worden sein müsse, weggefallen sei. Die Beklagte führte durch Antragen bei dem Bundesarchiv, dem Krankenbuchlager, der Deutschen Dienststelle und dem Document Center Ermittlungen über die vom Kläger geltend gemachten Ersatzzeiten durch. Bis auf Unterlagen bei dem Bundesarchiv über eine Internierung des Klägers ab 1947 und Personalunterlagen des Klägers bei dem Document Center waren bei den angeschriebenen Stellen keine Unterlagen zu finden. Bei den der Beklagten in Fotokopie überlassenen Personalunterlagen befindet sich ein Lebenslauf des Klägers, in dem es heißt, daß er am 1. Januar 1939 zur Gestapo Augsburg einberufen worden sei. Außerdem gehört zu den Personalunterlagen des Klägers eine von der Gestapo Augsburg am 8. August 1939 ausgestellte Bescheinigung über den Abstammungsnachweis des Klägers. Daraufhin stellte die Beklagte in einem Aktenvermerk fest, daß der Kläger seit 1. Januar 1939 bei der Gestapo gewesen sei.

Durch Bescheid vom 27. November 1974 hat die Beklagte dem Kläger das Altersruhegeld wegen Vollendung des 65. Lebensjahres ab 1. Januar 1973 gewährt. Sie hat dabei die Zeit vom 26. August 1939 bis zum 8. Mai 1945 mit insgesamt 70 Monaten als Ersatzzeit angerechnet.

Am 6. Dezember 1974 hat der Kläger die Klage zum Sozialgericht Speyer erhoben und zunächst die Anrechnung auch der Zeit der Gefangenschaft bis Juni 1947 als Ersatzzeit begehrt.

Während des Rechtsstreits hat die Beklagte das Altersruhegeld des Klägers mit Bescheid vom 20. Juni 1975 neu festgestellt und dabei die Ersatzzeit vom 26. August 1939 bis zum 8. Mai 1945 nicht mehr berücksichtigt. In dem Bescheid hießt es, der bisherige Rentenbetrag werde weitergezahlt, bei den Rentenanpassungen werde aber von den neuen Berechnungsmerkmalen ausgegangen. Zur Begründung hat die Beklagte ausgeführt: Sie habe die Personalakte des Klägers beigezogen. Daraus ergebe sich, daß der Kläger keinen mili...

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