Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesetzliche Unfallversicherung. Arbeitsunfall. Betriebsweg. sachlicher Zusammenhang. Unterbrechung. betriebliches Interesse. Vorbereitungshandlung. natürliche Betrachtungsweise: Teil der eigentlich versicherten Tätigkeit. Abgrenzung zum Wegeunfall. Tanken während einer dienstlichen Fahrt. Bestattungsfachkraft. Kundentermin
Leitsatz (amtlich)
Wird ein Betriebsweg unterbrochen, um an einer direkt an den Weg angrenzenden Tankstelle den nahezu leeren Tank des dienstlich genutzten Fahrzeugs aufzufüllen, entfällt im Unterschied zu Tankstopps auf Wegen zu und von der versicherten Tätigkeit der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung nicht.
Orientierungssatz
Für die im Rahmen der Wegeunfallversicherung ausgesprochenen Einschränkungen etwa hinsichtlich des Tankens ist dann kein Raum, da solche Tätigkeiten rechtlich wesentlich immer der arbeitsbedingten Wegezurücklegung und dem Betrieb dienen. Das Tanken muss aus diesen Gründen dann auch nicht unvorhersehbar erforderlich geworden sein. Der Beschäftigte muss aber aufgrund objektiver Umstände davon ausgehen, dass das Tanken zur Absolvierung des Betriebsweges notwendig ist, und eine möglichst nahegelegene Tankstelle aufsuchen.
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 11.01.2023 sowie der Bescheid der Beklagten vom 26.01.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.07.2022 aufgehoben und festgestellt, dass das Ereignis vom 20.10.2015 ein Arbeitsunfall war.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung eines Arbeitsunfalls.
Der 1981 geborene Kläger erlitt am 20.10.2015 mit seinem privaten Pkw einen Verkehrsunfall, als er mit diesem gegen 15.30 Uhr auf dem rechten Fahrbahnstreifen der T Straße in K auf Höhe der Nummer 81 zum Stehen kam, um auf ein anliegendes Tankstellengelände zu fahren und dort zu tanken. Er ließ eine Passantin mit Kinderwagen passieren, die den Einfahrtsbereich der Tankstelle auf dem Bürgersteig querte. Der Blinker war dabei nach rechts gesetzt, die Räder waren noch nicht eingeschlagen. Zu diesem Zeitpunkt fuhr ein von hinten kommendes Fahrzeug auf den Pkw des Klägers auf. Der Kläger erlitt eine Halswirbeldistorsion, eine Gehirnerschütterung und eine Knieprellung links. In der Folgezeit zeigte sich ein traumatischer Knorpelschaden am verletzten Knie. Die Beklagte übernahm die Kosten für Behandlungen (Krankengymnastik) und Medikamente bis in das Jahr 2018.
Der Kläger war zum Unfallzeitpunkt bei einem Bestattungsunternehmen als Bestattungsfachkraft beschäftigt. Das Unternehmen hat mehrere Filialen, darunter eine Filiale „Bestattungen H -P Mü “ in der W straße 46 in K sowie die Filiale „Bestattungen Ge “ in der B straße 130a in K . Die Entfernung zwischen den beiden Filialen beträgt laut Googlemaps Routenplaner 2,8 Kilometer.
Der Kläger befand sich auf dem Rückweg von einem etwa einstündigen Bestattungsvorsorgegespräch in der K -R -Straße zurück in die Filiale des Unternehmens in der W straße 46 in K -M (Entfernung vom Unfallort zur Tankstelle laut Routenplaner Googlemaps etwa 1,6 Kilometer). Der direkte Weg von der K -R -Straße zur W straße 46 führt am Unfallort vorbei. In einem Fragebogen der Versicherung vom 26.10.2015 gab der Kläger an, der Unfall habe sich auf dem Weg zur Arbeit ereignet. Zu dieser Zeit wohnte der Kläger unter der Anschrift W straße 46, K -M , im Vorderhaus, während das Bestattungsinstitut sich im Hinterhaus befindet. Der Kläger nahm im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit Außentermine (Trauergespräche, Vorsorgegespräche, Trauerfeiern) im Raum K und B wahr sowie in den Krematorien K und D . Zu diesen fuhr er jeweils mit seinem privaten Pkw, was mit dem Arbeitgeber abgesprochen war. Der Kläger erhielt von diesem Tankgutscheine.
Im Bericht des Durchgangsarztes (D-Arzt) Priv.-Doz. Dr. Ge vom 21.10.2015 wird als Angabe des Klägers wiedergegeben, er sei von der Mittagspause zur Arbeit mit dem Auto als Fahrer gefahren. Der Arbeitgeber gab in der Unfallanzeige vom 31.10.2015 gegenüber der Beklagten an, der Unfall habe sich „zwischen den Arbeitsstätten“ ereignet. Die Arbeitszeit beginne um 8 Uhr und ende um 17 Uhr. In einem Telefongespräch mit der Beklagten gab der Arbeitgeber an, der Kläger habe am 01.12.2015 seine Tätigkeit wiederaufgenommen. Der Kläger habe an dem selben Ort seine Wohnung an dem auch die Betriebsstätte gelegen sei. Zur Mittagspause gehe der Kläger immer nach Hause. Eine Befragung des Klägers durch die Beklagte erfolgte nicht.
Nachdem sich der Kläger am 24.07.2020 wegen fortbestehender Beschwerden im Knie erneut bei dem D-Arzt Prof. Dr. At vorstellte, teilte die Beklagte diesem mit, dass keine Behandlung zu ihren Lasten erfolgen solle, da kein Arbeitsunfall vorliege.
Der Kläger begehrte daraufhin telefonisch einen rechtsmittelfähigen Bescheid und gab dabei an, er habe seinen Privat-Pkw immer diens...