Entscheidungsstichwort (Thema)
Soziales Entschädigungsrecht. Soldatenversorgung. Wehrdienstbeschädigung. wehrdiensteigentümliche Verhältnisse. truppenärztliche Behandlung. Darmbeschwerden. Gesundheitsverschlechterung. ausbleibender Behandlungserfolg. ursächlicher Zusammenhang. kein Vergleich mit hypothetischer zivilärztlicher Behandlung. Ausgleich nach § 85 SVG. keine Berücksichtigung einer besonderen beruflichen Betroffenheit
Orientierungssatz
1. Heilbehandlungen durch Militärärzte oder Militärärztinnen zählen zu den wehrdiensteigentümlichen Verhältnissen. Wirken sie sich gesundheitsschädigend aus, wird dadurch ein Versorgungsanspruch begründet - ohne dass es darauf ankommt, ob die Ursache der behandlungsbedürftigen Krankheit im Zusammenhang mit dem Wehrdienst steht (vgl BSG vom 30.1.1991 - 9a/9 RV 26/89 = SuP 1991, 576 und vom 16.12.2014 - B 9 V 3/13 R = SozR 4-3200 § 81 Nr 6).
2. Bei einer Verschlechterung des Gesundheitszustands nach einer truppenärztlichen Behandlung ist für die Zuerkennung einer sozialen Entschädigung nicht fordern, dass ein ziviler Arzt oder eine zivile Ärztin (mit anderer Behandlungsmethode) wahrscheinlich einen besseren Heilerfolg erzielt hätte.
3. Zur Feststellung eines Ausgleichs nach § 85 SVG auf der Grundlage eines Grads der Schädigungsfolgen (GdS) von 30 unter der Anerkennung zusätzlicher Gesundheitsstörungen (hier: postprandiale Bauchkrämpfe und Diarrhöen) als weitere Wehrdienstbeschädigung.
4. Bei Ansprüchen nach § 85 Abs 1 SVG wird der GdS nicht nach § 30 Abs 2 BVG aufgrund der beruflichen Betroffenheit erhöht.
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 17.11.2020 geändert:
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 28.10.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.09.2018 verurteilt, den Bescheid vom 29.05.2008 abzuändern und über die bereits festgestellten Gesundheitsstörungen hinaus „postprandiale Bauchkrämpfe und Diarrhöen“ als Wehrdienstbeschädigung festzustellen und dem Kläger ab dem 01.01.2010 Ausgleich auf der Grundlage eines GdS von 30 nach § 30 Abs. 1 BVG zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger auch die Hälfte der außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen einer Wehrdienstbeschädigung nach dem Soldatenversorgungsgesetz (SVG) und über die Gewährung eines Ausgleichs für die Wehrdienstbeschädigung gemäß § 85 SVG.
Der 1973 geborene Kläger war ab dem 01.01.1993 Berufssoldat im Dienst der Bundeswehr. Das Dienstverhältnis endete vorzeitig am 31.12.2015.
Mit Wehrdienstbeschädigungsblatt (WDB-Blatt) vom 16.07.2001 machte der Kläger eine Gesundheitsstörung am linken Knie als WDB-Folge im Sinne des § 81 SVG geltend. Mit Bescheid vom 11.11.2002 wurde dem Kläger durch die Wehrbereichsverwaltung Süd die Gesundheitsstörung „Verstauchung des linken Kniegelenks“ als WDB-Folge im Sinne des § 81 SVG anerkannt. Die weiterhin festgestellte Gesundheitsstörung „Chondromalazie mit Dysplasie Typ Wiberg II bis III linkes Kniegelenk“ sei nicht Folge einer WDB im Sinne des § 81 SVG. Die Gewährung eines Ausgleichs nach § 85 SVG wurde abgelehnt. Grundlage war eine versorgungsärztliche Stellungnahme vom 21.10.2002 von Dr. K-R , in der der Grad der Schädigung (GdS) mit 0 bewertet wurde.
Der Kläger stellte mit WDB-Blatt vom 07.08.2007 bei der Wehrbereichsverwaltung Süd durch den Oberstabsarzt Dr. B einen Antrag auf Anerkennung einer Wehrdienstbeschädigung und auf Gewährung von Versorgungsansprüchen nach dem SVG wegen nachteiliger Folgen einer truppenärztlichen Behandlung, nämlich einer Operation im Speiseröhren-/Magenbereich am 21.10.2005 (laparaskopische Fundicatio nach Hiatusgleithernie ) im Bundeswehrkrankenhaus (BWK) Um. Nach Durchführung entsprechender Ermittlungen, Beiziehung medizinischer Unterlagen und Einholung versorgungsmedizinischer gutachterlichen Stellungnahmen von Dr. Br vom 07.03.2008 und 18.05.2008, die zum Ergebnis gelangten, dass es beim Kläger zu nachteiligen Folgen truppenärztlicher Behandlung gekommen sei, welche im Sinne des so genannten Operationserlasses zur Anerkennung vorgeschlagen würden, stellte die damals zuständige Wehrbereichsverwaltung Süd mit Bescheid vom 29.05.2008 die Gesundheitsstörung „Dünndarm-Dysfunktion durch akzidentielle Vagusirritation , Rezidivhernien-OP “ als Folge einer Wehrdienstbeschädigung (WDB) fest, hervorgerufen durch schädigende Einwirkungen im Sinne des § 81 SVG. Die weitere Gesundheitsstörung „Magengleitbruch-Operation“ sei nicht Folge einer WDB im Sinne des § 81 SVG. Insoweit sei der ursächliche Zusammenhang zwischen der Gesundheitsstörung und dem schädigenden Tatbestand nicht auf eine gesundheitliche Schädigung im Sinne des § 81 Abs. 1 SVG zurückzuführen. Nach den versorgungsmedizinischen gutachterlichen Stellungnahmen sei ein ursäch...