Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Kostenerstattung bei rechtswidriger Ablehnung einer Leistung. ärztliche Injektion von Lucentis. keine neue Behandlungsmethode. Erstattung der Kosten in voller Höhe
Orientierungssatz
1. Lehnt die Krankenkasse eine Leistung rechtswidrig ab und verweist den Versicherten damit auf eine Selbstbeschaffung der Leistung, kann sie hierdurch entstehende Mehrkosten nur vermeiden, wenn sie den Versicherten von sich aus auf günstige Möglichkeiten der angemessenen Sachbeschaffung hinweist (vgl BSG vom 11.9.2012 - B 1 KR 3/12 R = BSGE 111, 289 = SozR 4-2500 § 27 Nr 23).
2. Bei der ärztlichen Injektion von Lucentis handelt es sich lediglich um die qualifizierte Injektion eines Arzneimittels und nicht um eine "neue Behandlungsmethode", so dass der Leistungsausschluss für die vertragsärztliche Versorgung bei fehlender Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 135 SGB 5 daher nicht eingreift (vgl LSG Halle (Saale) vom 15.4.2010 - L 10 KR 5/10 B ER = JMBl LSA 2010, 205).
3. Der Versicherte kann von der Krankenkasse die Erstattung der vollen entstandenen Kosten dann verlangen, wenn die Krankenkasse nicht in der Lage ist, die notwendige Leistung als Sachleistung zu erbringen und die privatärztliche Abrechnung zumindest nicht offensichtlich rechtswidrig ist.
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 6.12.2011 sowie der Bescheid der Beklagten vom 22.6.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.8.2011 geändert. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitere 759,80 € zu zahlen. Die weitergehende Klage wird abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger seine außergerichtlichen Kosten in beiden Rechtszügen zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist streitig, in welcher Höhe von der Beklagten Kosten für das Arzneimittel "Lucentis" sowie für dessen Verabreichung und für die Nachbehandlung zu übernehmen sind.
Der 1954 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert und war für das Jahr 2011 von Zuzahlungen befreit (Bescheid der Beklagten vom 22.12.2010). Er leidet an einer chorioidalen Neovaskularisation infolge altersabhängiger Makuladegeneration. Das linke Auge ist nahezu erblindet. Nachdem sich am rechten Auge der Visus auf Grund einer neu aufgetretenen Blutung von 0,5 auf 0,3 verschlechtert hatte, empfahl der als Vertragsarzt zugelassene Dr. P vom Augenzentrum K für das rechte Auge eine Lucentis-Therapie. Der Kläger beantragte am 14.6.2011 bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für diese Therapie. Nach den beigefügten Unterlagen des Augenzentrums K wurden folgende Kosten veranschlagt: Apothekenverkaufspreis für das Arzneimittel Lucentis (drei Injektionen a 1.285,90 €) 3.857,70 €, für die ärztliche Injektion (drei Injektionen a 335,15 € unter Ansatz des 2,3fachen Satzes der GOÄ-Nr. A 1383 - Vitrektomie) 1.005,45 € und für die ärztliche Nachbehandlung (dreimal 80 € unter Ansatz des 2,3fachen Satzes der GOÄ-Nrn. 1, 6, 1201, 1242 und des 1,8fachen Satzes der GOÄ-Nr. 1256 sowie des 2,242fachen Satzes der GOÄ-Nr. 6 in einem jeweiligen zweiten Termin) ein Betrag von 240 € (Kosten insgesamt 5.103,15 €).
Mit Bescheid vom 22.6.2011 teilte die Beklagte dem Kläger mit, die Kostenerstattung für das Medikament Lucentis könne bis zur Höhe des Abgabepreises der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgen. Dieser liege bei 1.125,41 € pro Zyklus; die ärztlichen Honorarkosten würden bis zu einer Höhe von 76,93 € je Zyklus übernommen (GOÄ Ziffern 257 und 447 bei einem 2,3fachen Gebührensatz). Somit ergebe sich pro Zyklus ein Kostenübernahmebetrag von bis zu 1.202,34 €, für die beantragten drei Zyklen ein Gesamtkostenübernahmebetrag von bis zu 3.607,02 €. Eine Kostenübernahme für die Nachbehandlung könne nicht erfolgen. Der Kläger möge nach Durchführung der Behandlung die Rechnung zur Erstattung einreichen. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Der von der Beklagten beteiligte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK, sozialmedizinische Stellungnahme Dr. S vom 22.7.2011) bestätigte die medizinische Notwendigkeit einer zügigen Behandlung des Klägers mit Lucentis. Mit Widerspruchsbescheid vom 19.8.2011 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Solange die begehrte Behandlung nicht im Einheitlichen Bewertungsmaßstab für ärztliche Leistungen (EBM-Ä) und auch nicht in der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) enthalten sei, könne die Injektion nach § 2 Abs. 2, § 6 Abs. 2, § 11, § 5 Abs. 2 GOÄ unter Ansatz einer gleichwertigen Leistung in Höhe des einfachen Gebührensatzes (Hinweis auf Bayerisches LSG 11.11.2009 - L 15 SF 304/09) zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet werden. Nach diesen Maßstäben sei eine Vergütung der ärztlichen Behandlung nach GOÄ-Nr. 257, 447 angemessen. Die Nachbehandlung sei nicht gesondert zu vergüten, da sie mit der Vergütu...