Leitsatz (amtlich)
Die Festsetzung gestaffelter Visitgebühren für die einzelnen Fachgruppen von Belegärzten ist mit GG Artikel 3 nicht vereinbar; sie verletzt den Gleichheitsgrundsatz, weil sie bei gleichem Leistungsumfang in gleich gelagerten Behandlungsfällen zu unterschiedlichen Vergütungen der belegärztlichen Tätigkeit führt, je nachdem welcher Fachgruppe der behandelnde Arzt angehört.
Normenkette
GG Art. 3 Fassung: 1949-05-23; E-Adgo Anlage 1 Nr. 1a Fassung: 1977-01-01
Verfahrensgang
SG Mainz (Entscheidung vom 20.12.1978; Aktenzeichen S 2 Ka 52/77) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 20. Dezember 1978 abgeändert:
Der Bescheid der Beklagten vom 15. August 1977 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Oktober 1977 und die weiteren Abrechnungsbescheide der Beklagten für die Quartale I/77 bis einschließlich II/79 werden aufgehoben.
Im übrigen werden Klage und Berufung zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu ein Viertel zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Mit der nicht zugelassenen Berufung begehrt der Kläger weiterhin ab 1. Januar 1977 höhere Visitgebühren für seine stationäre vertragsärztliche Tätigkeit gemäß § 11 das Arzt-Ersatzkassen-Vertrags (AEV).
Der Kläger, Facharzt für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe, ist als Kassenarzt zugelassen und an der Ersatzkassenpraxis beteiligt. Er ist zugleich gemäß § 10 AEV als Belegarzt anerkannt.
Mit Bescheid vom 15. August 1977 teilte die Beklagte ihm das Ergebnis seiner Honorarabrechnung für seine Kassen- und Ersatzkassentätigkeit im ersten Quartal 1977 mit. Dagegen erhob der Kläger Widerspruch und beanstandete die unterschiedlich hohe Honorierung der Visiten im Krankenhaus für insgesamt vier Fachgruppen von Belegärzten nach der Anlage 1 zur E-Adgo. Die Beklagte wies den Widerspruch des Klägers mit Bescheid vom 3. Oktober 1977 zurück, weil sie an die vertraglich festgelegten Gebühren gebunden sei. Der Kläger hat auch gegen die Honorarabrechnungen für die Quartale II 1977 bis II 1979 aus dem gleichen Grund Widerspruch eingelegt. Über diese Widersprüche hat die Beklagte mit Rücksicht auf das vorliegende Verfahren bisher nicht entschieden.
Mit der Klage hat der Kläger geltend gemacht, die unterschiedliche Honorierung verstoße gegen den Gleichheitssatz. Weder der Zeitaufwand noch die fachliche Qualifikation rechtfertigten unterschiedliche Visitgebühren für die verschiedenen Belegarztgruppen, zumal die sonstigen Leistungen bei allen gesondert vergütet würden. Sie könne auch nicht damit begründet werden, daß Belegärzte der konservativen Fächer im Gegensatz zu denen der chirurgischen Fachgebiete keine oder weniger Sonderleistungen erbrächten. Die verträglich vereinbarte Mindestgebührenschwelle, nach der nur über 23,– DM hinausgehende Leistungen zu vergüten seien, gelte für alle Belegärzte. Ein Ausgleich für erbrachte Leistungen unterhalb der Mindestschwelle sei daher für keine Gruppe erforderlich und gerechtfertigt. Der Verstoß gegen den Gleichheitssatz werde besonders deutlich, wenn man sich vor Augen halte, daß nach der vorgesehenen Staffelung z.B. ein praktischer Arzt bei stationärer Geburtshilfe bei gleichem Honorar für Sonderleistungen eine Visitgebühr von 7,50 DM erhalte, ein Facharzt für Gynäkologie dagegen nur 5,50 DM. Bei durchschnittlich 7000 Visiten im Jahr entstehe für ihn schon im Vergleich zu eines praktischen Arzt jährlich eine Honorarverkürzung von 14.000,– DM. Im Vergleich zu Haut-, Kinder und Nervenärzten, die pro Visite 10,– DM erhielten, sei die Differenz noch größer.
Der Kläger hat in erster Instanz beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, die Vergütung der stationären vertragsärztlichen Leistungen gemäß § 11 AEV und der Anlage zur E-Adgo für alle Beleg- und Fachärzte nach der für Haut-, Kinder- und Nervenfachärzte festgelegten Vergütung zu bezahlen, und zwar ab 1. Dezember 1976;
hilfsweise, unter Aufhebung der Honorarabrechnung des ersten Quartals 1977 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Oktober 1977 die Visitgebühr festzusetzen.
Das Sozialgericht Mainz hat die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und den Verband der Angestelltenkrankenkassen (VdAK) beigeladen und die Klage mit Urteil vom 20. Dezember 1978 abgewiesen.
Der Hauptantrag sei unbegründet, weil der Kläger damit höheres Honorar ab 1. Dezember 1976 begehre und nicht nur für das streitige erste Quartal 1977. Außerdem begehre er höhere Vergütung, ohne zugleich die Aufhebung der ihn nach seiner Auffassung belastenden Abrechnungsbescheide zu beantragen. Der Hilfsantrag sei ebenfalls unbegründet. Die Abrechnungsbescheide für das streitige Quartal seien nicht zu beanstanden. Die Vergütung des Klägers könne sich nur nach der für die Ersatzkassenpraxis vereinbarten Gebührenordnung richten. Diese sei auch für die Gerichte bindend. Eine Ausnahmesituation, die nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts e...