Entscheidungsstichwort (Thema)

Veröffentlichung einer Entscheidung des Landessozialgericht Rheinland-Pfalz vom 19.11.2015 zum Az.: L 5 KR 5/15

 

Leitsatz (amtlich)

Wohnt ein Versicherter in einer Seniorenresidenz im Rahmen eines sogenannten Service-Wohnens, kann er gegen die Krankenkasse einen Anspruch auf Behandlungspflege nach § 37 Abs 2 SGB V haben, sofern der Träger der Seniorenresidenz nicht zur Erbringung der Behandlungspflege verpflichtet ist.

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 13.11.2014 sowie der Bescheid der Beklagten vom 31.8.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.12.2012 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, die Erben des am … 1945 geborenen und am … 2012 verstorbenen H… E… von den Kosten der häuslichen Krankenpflege für die Zeit vom 4.9.2012 bis zum 6.10.2012 in Höhe von 20.910,59 € freizustellen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Umstritten ist ein Anspruch auf Freistellung von Kosten für häusliche Krankenpflege in Höhe von insgesamt 20.910,59 €.

Die Klägerin ist die Tochter des am 6.10.2012 verstorbenen H… E… (im Folgenden: Versicherter), der bei der Beklagten krankenversichert war. Sie war dessen Betreuerin.

Der Versicherte erlitt am 22.6.2012 einen Hinterwandinfarkt mit nachfolgendem hypoxischem Hirnschaden und apallischem Syndrom mit maschineller Beatmungsnotwendigkeit, Dilationstracheotomie und PEG-Anlage. Er wurde bis zum 4.9.2012 in der B…-Klinik V… stationär behandelt. Die Klägerin schloss für ihn mit der Firma S… GmbH in K… einen Mietvertrag über ein Zimmer mit Gemeinschaftsräumen (Küche und Bad) in der Seniorenresidenz Villa am S… (sog “Service-Wohnen„).

Der Versicherte beantragte bei der Beklagten am 20.8.2012 unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung der B…-Klinik V… vom 15.8.2012 die Gewährung häuslicher Krankenpflege. Die Beklagte lehnte dies durch Bescheid vom 31.8.2012 ab. Zur Begründung führte sie aus: Ein Anspruch auf häusliche Krankenpflege nach § 37 Abs 2 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) bestehe nicht, wenn der Betroffene nicht in einem eigenen Haushalt wohne, sondern das betreute Wohnen einen heimähnlichen Charakter aufweise. Von einer “Häuslichkeit„ sei nur auszugehen, wenn sich der Betroffene selbst versorgen könne. Ihm müsse eine eigenständige, eigenverantwortliche Wirtschaftsführung möglich sein. Indiz dafür sei die freie Wahlmöglichkeit hinsichtlich Essensbestellung, Wäscheversorgung, Zimmerreinigung und Pflegedienst. Der Vater der Klägerin sei nicht gehfähig, sondern bettlägerig und örtlich und zeitlich nicht orientiert. Er habe somit keine Möglichkeit, sich zu artikulieren und sich selbst in irgendeiner Form zu versorgen bzw eigenständig eine Versorgung zu veranlassen. Bei der gegebenen Sachlage habe die Versorgung eher den Charakter einer stationären Pflege. Es fehle somit an der Grundvoraussetzung der “Häuslichkeit„ für den Anspruch auf häusliche Krankenpflege. Die Kosten für eine 24-Stunden-Intensivpflege könnten daher nicht übernommen werden. Es bestehe die Möglichkeit, die Versorgung in einer zugelassenen stationären Einrichtung in räumlicher Nähe zu organisieren.

Ab dem 4.9.2012 befand sich der Versicherte in den angemieteten Räumlichkeiten des “Service-Wohnens„, wobei es sich um ein Zweizimmer-Appartement handelte und das zweite Zimmer von einem anderen intensivpflegebedürftigen Patienten bewohnt wurde. Die Ehefrau des Versicherten blieb in der zuvor gemeinsam bezogenen Wohnung. Die Pflegefachkraft im Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) P… bejahte in ihrem Gutachten vom September 2012 beim Versicherten die Voraussetzungen der Pflegestufe III im Sinne der sozialen Pflegeversicherung. Zur Begründung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 31.8.2012 machte die Klägerin geltend, die neue Wohnung sei die “Häuslichkeit„ des Versicherten; sie, die Klägerin, habe seinem Wunsch Rechnung getragen, in keinem Fall in ein Pflegeheim zu kommen.

Entsprechend der ärztlichen Verordnung wurde die häusliche Krankenpflege in der Zeit vom 4.9.2012 bis zum 6.10.2012 durchgeführt. Der Pflegedienst I… A… GmbH, dessen Gesellschaftsanteile zu 50 vH der Firma S… GmbH gehalten werden, verlangte mit Rechnungen vom 30.9.2012 und 31.10.2012 eine Vergütung von 17.129,67 € (Zeit vom 4.9.2012 bis zum 30.9.2012) und 3.780,92 € (Zeit vom 1.10.2012 bis zum 6.10.2012). Durch Widerspruchsbescheid vom 6.12.2012 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 31.8.2012 zurück.

Mit ihrer am 2.1.2013 erhobenen Klage hat die Klägerin ihr Vorbringen weiterverfolgt. Sie hat erklärt, sie mache den Anspruch in ihrem Namen für die aus ihr, ihrer Mutter und ihrer Schwester bestehende Erbengemeinschaft geltend. Zahlungen an den ambulanten Pflegedienst seien bisher nicht erfolgt. Zur Begründung ihrer Rechtsauffassung hat die Klägerin auf den Beschluss des Landessozialgerichts (LSG) Hamburg vom 12.11.2009 (L 1 B 202/09 ER KR), den Besch...

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