Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Anwendung auch bei abgeleitetem Aufenthaltsrecht der Eltern durch Wahrnehmung der elterlichen Sorge für ein freizügigkeitsberechtigtes, die Schule besuchendes Kind. Verfassungsmäßigkeit. kein Sozialhilfeanspruch
Orientierungssatz
1. Das Aufenthaltsrecht nach Art 10 EUV 492/2011 begründet kein über das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche hinausgehendes "anderes" Recht zum Aufenthalt iS des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 aF und steht somit einem Leistungsausschluss nicht entgegen (Festhaltung an LSG Mainz vom 11.8.2016 - L 3 AS 376/16 B ER).
2. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 aF verstößt weder gegen Europarecht noch gegen das GG (Festhaltung an LSG Mainz vom 11.8.2016 - L 3 AS 376/16 B ER).
3. Die von den Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossenen Unionsbürger haben auch bei einem über sechs Monate hinaus andauernden Aufenthalt im Inland keinen Sozialhilfeanspruch nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12 im Wege der Ermessensreduzierung auf Null, wenn keine Anhaltspunkte vorgetragen oder ersichtlich sind, die die Anwendung der Ausnahmevorschrift rechtfertigen würde (Festhaltung an LSG Mainz vom 11.8.2016 - L 3 AS 376/16 B ER; entgegen BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R = BSGE 120, 149 = SozR 4-4200 § 7 Nr 43).
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 14. April 2016 wird zurückgewiesen.
2.Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), hilfsweise über die Gewährung von Sozialhilfe nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII), für die Zeit von April bis September 2015.
Die 1988 geborene Klägerin zu 1 und der 1972 geborene Kläger zu 2 sind verheiratet und die Eltern des 2007 geborenen Klägers zu 3 und des 2011 geborenen Klägers zu 4. Alle Kläger sind luxemburgische Staatsangehörige. Die Kläger zu 1 bis 3 hielten sich seit Juli 2010 in der Bundesrepublik Deutschland auf. Der Kläger zu 4 ist in Deutschland geboren. Zunächst wohnten die Kläger in einem Eigenheim der Eltern der Klägerin zu 1. Seit Februar 2014 bewohnten sie gemeinsam eine Mietunterkunft in P. Ein im Januar 2012 gestellter Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II blieb ebenso erfolglos wie ein neuerlicher Antrag im Januar 2014. Der Kläger zu 3 wurde im August 2013 eingeschult und besuchte seitdem regelmäßig die Grundschule in P.
Die Klägerin zu 1 war vom 23. Juni bis zum 30. September 2014 bei der Firma H & G Glas- und Gebäudereinigung in W sozialversicherungspflichtig beschäftigt. Mit Bescheid vom 4. November 2014, geändert durch Bescheid vom 5. November 2014, und mit Bescheid vom 28. November 2014 bewilligte der Beklagte den Klägern für die Zeit vom 1. August 2014 bis 31. März 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Für die Kläger zu 3 und 4 wurde dem Kläger zu 2 laufend ein monatliches Kindergeld in Höhe von jeweils 186,00 Euro gezahlt.
Den Weiterbewilligungsantrag der Kläger vom 12. März 2015 für die Zeit ab April 2015 lehnte der Beklagte mit Bescheid vom 18. März 2015 gestützt auf § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II in der seinerzeit geltenden Fassung ab, da der Arbeitnehmerstatus der Klägerin zu 1, ausgehend von einer (unfreiwilligen) Beendigung der Beschäftigung am 30. September 2014, am 31. März 2015 erloschen sei. Sie und ihre Familienmitglieder könnten keine Leistungen mehr beziehen, da sie weder in der Bundesrepublik Deutschland als Arbeitnehmer oder Selbständige arbeiteten, noch ein Daueraufenthaltsrecht genössen. Dagegen legten die Kläger mit Schreiben vom 30. März 2015 Widerspruch ein. Sie beriefen sich auf ein Aufenthaltsrechts aus Art. 10 der Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 (kurz: VO 492/2011), da der Kläger zu 3 regelmäßig die 2. Klasse der A.-L.-Schule in P. besuche.
Gleichzeitig beantragten die Kläger beim Sozialgericht Trier die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Mit Beschluss vom 14. April 2015 (4 AS 79/15 ER) verpflichtete das Sozialgericht den Beklagten, den Klägern im Wege der einstweiligen Anordnung im Zeitraum vom 1. April bis 30. September 2015 vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Der Antrag habe im Wege der Rechtsfolgenabwägung Erfolg, denn es sei im Hinblick auf die im summarischen Verfahren nicht abschließend zu klärende Rechtslage nicht ausgeschlossen, dass den Klägern der geltend gemachte Anspruch auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB II zustehe.
Mit Bescheid vom 17. April 2015 bewilligte der Beklagte den Klägern für die Zeit vom 1. April bis 30. September 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach...