Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Ersatzanspruch bei sozialwidrigem Verhalten. Verbrauch einer Schenkung. Ausgabeverhalten. wertende Betrachtung. Interessenabwägung
Orientierungssatz
1. In dem vorschnellen, verschwenderischen Verbrauch vorhandenen bzw zugeflossenen Vermögens (hier: Verbrauch von ca 40.000 Euro einer Schenkung innerhalb von ca 9,5 Monaten) besteht ein naheliegender Fall sozialwidrigen Verhaltens. Jedoch ist auch hier eine differenzierte und wertende Betrachtungsweise geboten. In diese ist einzubeziehen, welches Ausgabeverhalten grundsicherungsrechtlich zu erwarten war, welche die konkreten Umstände des jeweiligen Verhaltens waren und schließlich auch, wofür der Betrag verbraucht wurde (hier: sozialwidriges Verhalten verneint).
2. Zur Frage der Ermittlung der nicht als sozialwidrig zu qualifizierenden monatlichen Ausgaben.
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers werden der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mainz vom 15. Juni 2021 und der Bescheid des Beklagten vom 23. Oktober 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 5. August 2020 aufgehoben.
2. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen einen Bescheid des Beklagten, durch den ein Ersatzanspruch nach § 34 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für ihm in der Zeit vom 1. Juli 2018 bis zum 30. Juni 2019 gewährte Leistungen geltend gemacht wurde.
Der am 1958 geborene Kläger, der geschieden ist und zwei volljährige Kinder hat, verlor 1975 bei einem Unfall seine rechte Hand und ist seitdem mit einer Prothese versorgt. Nach Beendigung seines Studiums als Graphik-Designer im Jahr 1988 versuchte er zunächst, in einer abhängigen Beschäftigung beruflich Fuß zu fassen. Dies gelang ihm jedoch nach seinen Angaben insbesondere wegen seiner Behinderung nicht, so dass er sich 1991 entschloss, eine selbständige Tätigkeit aufzunehmen. Diese übte er bis 2011 mit mäßigem Erfolg aus; zum Start musste er ein Gründungsdarlehen in Höhe von 30.000,00 DM (entspricht ca 15.000,00 €) und später zur Überbrückung finanzieller Engpässe weitere Kredite aufnehmen. Insgesamt beliefen sich die berufsbedingten Darlehen auf rund 24.000,00 €.
Vom 01. Juni 2012 bis zum 21. Dezember 2015 war er beim Beklagten als Arbeitsvermittler tätig; danach bezog er bis Ende Juni 2017 Arbeitslosengeld in Höhe von 1.359,00 € monatlich und beantragte zum 01. Juli 2017 Leistungen beim Beklagten, die ihm dieser schließlich endgültig bis September 2017 in einer monatlichen Höhe von 755,00 € gewährte. Der Kläger bediente auch nach seiner Antragstellung beim Beklagten seine Darlehensverbindlichkeit, die sich im Juli/September 2017 noch auf rund 16.000,00 € belief, mit monatlich 410,45 €. Am 20. September 2017 erhielt der Kläger von seiner Mutter einen Betrag in Höhe von 52.000,00 € als Geschenk; sein Konto stand an diesem Tag mit 1.859,52 € im Soll. Er beabsichtigte, von dieser Summe sein Darlehen abzulösen. Hiervon sah er jedoch ab, nachdem ihm der Beklagte bei einer persönlichen Vorsprache am 25. September 2017 erklärt hatte, dass er verpflichtet sei, aus der Zuwendung seiner Mutter seinen Lebensunterhalt zu bestreiten. Die Restschuld in Höhe von rund 8.500,00 € löste schließlich seine Mutter Ende Oktober 2019 ab.
In Kenntnis der Schenkung lehnte der Beklagte die Gewährung von Leistungen für die Zeit von November 2017 bis Juni 2018 bestandskräftig ab (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 15. Dezember 2020 (L 3 AS 178/20)), weil der Kläger nicht hilfebedürftig sei und er nach Abzug des ihm zustehenden Freibetrages seinen Lebensunterhalt aus der Zuwendung seiner Mutter bestreiten könne, gewährte ihm diese aber anschließend von Juli bis Dezember 2018 in monatlicher Höhe von 762,00 € und von Januar bis Juni 2019 in einer monatlichen Höhe von 770,00 € (vorläufige Bescheide vom 22.Oktober 2018 und 22. Dezember 2018 sowie endgültige Bescheide vom 22. Oktober 2019). Auch in der Folgezeit bezog der Kläger bis zu seiner Arbeitsaufnahme am 1. Januar 2022 Leistungen.
Ende September 2017 kaufte der Kläger zunächst ein Fahrzeug für 15.990,00 €, das behindertengerecht ausgerüstet war und über eine sog. Anfahrhilfe verfügte. Sein bis dahin gefahrener, 22 Jahre alter PKW wies eine Kilometerleistung von über 200.000 auf und konnte wegen eines Schadens am Bremssystem im August 2017 ohne eine sofortige, kostspielige Reparatur nicht mehr genutzt werden. Bis ca Ende Oktober 2017 zahlte er außerdem rund 2.000,00 € an den Landkreis B zurück, kaufte günstige Winterreifen, schenkte seiner Tochter nach Beendigung ihres Studiums 1.000,00 € und kaufte für seinen körperbehinderten Sohn ein Vibrations-gerät für 400,00 €. Für sich selbst erwarb er ein Tablet für 400,00 € und Software für Internetpräsentationen; die Kosten hierfür beliefen sich auf ca. 700,00 € bis 800,00 €, bis Ende Oktober 2017 hatte der Kläger hierfür ca. 500,00 € ausgegeben. Zudem ließ er sich eine Silikonprothese (sog. Schmuckhand) für 2.000,00 ...