Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Zuzahlungen gem § 61 SGB 5. Bestandteil des Regelsatzes. Sachleistung. selbstbeschaffte Leistung. Hippotherapie. keine Kostenerstattung. Freistellung von einer Verbindlichkeit gem § 13 Abs 3 S 1 SGB 5. Eingliederungshilfe. kein anerkanntes und verordnungsfähiges Heilmittel iS des § 32 SGB 5. keine Kostenübernahme nach § 55 SGB 9. Vorrangigkeit des § 264 SGB 5
Orientierungssatz
1. Zuzahlungen gem § 61 SGB 5 müssen aus den allgemeinen Regelsätzen des SGB 12 bestritten werden (vgl LSG Mainz vom 13.3.2009 - L 1 SO 5/07). Auch hinsichtlich der Zuzahlung nach § 28 Abs 4 iVm § 61 S 2 SGB 5 (sog Praxisgebühr) besteht kein Erstattungsanspruch, da auch diese als Kosten der Gesundheitspflege grundsätzlich aus dem Regelsatz zu bestreiten ist (vgl LSG Stuttgart vom 01.02.2007 - L 7 SO 4267/05 = FEVS 58, 451 und LSG Berlin-Potsdam vom 16.12.2008 - L 23 B 128/08 SO PKH).
2. Ein Kostenerstattungsanspruch gem § 15 Abs 1 S 4 SGB 9 tritt an die Stelle des erloschenen (primären) Sachleistungsanspruchs. Dabei muss zwischen den Kosten für die selbst beschaffte Leistung und der Leistungsablehnung durch den Rehabilitationsträger ein Kausalzusammenhang bestehen (§ 15 Abs 1 S 4 SGB 9 entspricht § 13 Abs 3 S 1 SGB 5, vgl BSG vom 20.5.2003 - B 1 KR 9/03 R = SozR 4-2500 § 13 Nr 1).
3. Hat ein Versicherter die selbstbeschaffte Leistung noch nicht bezahlt, kann er an Stelle der Kostenerstattung die Freistellung von der gegenüber dem Leistungserbringer bestehenden Verbindlichkeit verlangen. Das in § 13 Abs 3 S 1 SGB 5 geregelte Recht auf Kostenerstattung umfasst auch den Anspruch auf Freistellung von einer Verbindlichkeit (vgl BSG vom 22.7.2004 - B 3 KR 5/03 R = SozR 4-2500 § 33 Nr 5, vom 23.1.2003 - B 3 KR 7/02 R = BSGE 90, 220 = SozR 4-2500 § 33 Nr 1 und vom 9.10.2001 - B 1 KR 6/01 R = BSGE 89, 39 = SozR 3-2500 § 13 Nr 25).
4. Die Kosten einer Hippotherapie sind nicht im Rahmen der Eingliederungshilfe des § 54 Abs 1 S 1 und S 2 SGB 12 übernahmefähig, weil diese Leistung zur medizinischen Rehabilitation nicht den Katalogleistungen der gesetzlichen Krankenversicherung entspricht.
5. Die Hippotherapie, die nicht von ärztlichen Fachkräften, sondern als medizinische Dienstleistung von nichtärztlichen Fachkräften erbracht wird, ist kein anerkanntes und verordnungsfähiges Heilmittel iS des § 32 SGB 5. Sie ist als besondere Form der Krankengymnastik eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation nach § 26 SGB 9 und kann als Heilmittel iS des § 32 SGB 5 von den an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Ärzten nur verordnet werden, wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen gem § 138 SGB 5 zuvor ihren therapeutischen Nutzen anerkannt und in den Richtlinien nach § 92 Abs 1 S 2 Nr 6 SGB 5 Empfehlungen für die Sicherung der Qualität bei der Leistungserbringung abgegeben hat (vgl BSG vom 19.3.2002 - B 1 KR 36/00 R = SozR 3-2500 § 138 Nr 2 und vom 3.9.2003 - B 1 KR 34/01 R = SozR 4-2500 § 18 Nr 1).
6. Eine Kostenübernahme nach § 55 Abs 2 SGB 9, auf den § 54 Abs 1 S 1 SGB 12 verweist, kommt ebenfalls nicht in Betracht. Eine Hippotherapie setzt direkt an der Behandlung der behinderungsbedingten Störung an und fällt daher nicht unter den Anwendungsbereich des § 55 SGB 9.
7. Die sozialhilferechtliche Krankheitshilfe nach § 48 SGB 12 ist gegenüber den Regelungen zur Krankenbehandlung § 264 SGB 5 nachrangig.
Nachgehend
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Speyer vom 19.11.2008 - S 16 SO 117/06 - wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten des Rechtsstreits sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Übernahme von Zuzahlungen zur gesetzlichen Krankenversicherung, Kostenerstattung für privatärztlich in Anspruch genommene Leistungen sowie die Übernahme der für Hippotherapie aufgewendeten Kosten.
Die 1975 geborene Klägerin leidet an dem Louis-Bar-Syndrom (Ataxia teleangiectatica). Sie hat einen Grad der Behinderung (GdB) von 100% mit den Merkzeichen “B„, “G„, “aG„, "H" und ist in die Pflegestufe II der Pflegeversicherung eingestuft. Auch die Schwester der Klägerin leidet an dem Louis-Bar-Syndrom. Bei dem Louis-Bar-Syndrom handelt es sich um eine vererbte Systemerkrankung. Von dem Immundefekt sind insbesondere das Nervensystem, die Blutgefäße von Augen und Haut und das Immunsystem betroffen. Die ersten Symptome traten sowohl bei der Klägerin als auch ihrer Schwester im Kindesalter auf. Kennzeichnend für die Erkrankung sind eine zerebelläre Ataxie (u.a. Gang- und Standunsicherheit) mit Kleinhirnatrophie (Substanzschwund) vor allem im Bereich des Vermis, eine dystone Bewegungsstörung, Störungen der Augenbewegungen sowie ein physischer und später auch psychischer Entwicklungsrückstand. Die verminderte Immunkompetenz führt häufig zu wiederkehrenden Infekten, die vor allem Lunge und Nasennebenhöhlen betreffen. Darüber hinaus besteht bei Patienten mit dem Louis...