Verfahrensgang
SG Speyer (Urteil vom 03.11.1976; Aktenzeichen S 6 U 205/75) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 3. November 1976 und der Bescheid vom 25. Juli 1975 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger wegen berufsbedingten Kehlkopfkrebsleidens Entschädigungsleistungen nach § 551 Abs. 2 Reichsversicherungsordnung (RVO) zu gewähren.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der 1922 geborene Kläger begehrt von der Beklagten, die Folgen einer bei ihm durchgeführten Kehlkopfkrebs-Operation wie eine Berufskrankeit zu entschädigen.
Der Kläger war bis 1941 in der Landwirtschaft beschäftigt und leistete anschließend Wehrdienst bis 1944. Mitte Mai 1944 geriet er in russische Gefangenschaft, in der er in einem Steinbruch und in der Landwirtschaft eingesetzt war. Nach Rückkehr in die Heimat 1949 war der Kläger bis 1956 wieder in der Landwirtschaft tätig. Als Teerwerker arbeitete er von Mitte April 1956 bis Mitte März 1969 bei der Bauunternehmung S., anschließend war er bei der H. GmbH bis 22. November 1971 beschäftigt, bei der er eine Straßeninstandsetzungskolonne führte. Nach seinen Angaben war er bis 1945 gesund. Während der Kriegsgefangenschaft erkrankte er an Bronchitis und Malaria sowie Dystrophie. 1950 und 1951 erfolgte eine Nierensteinoperation. Während des Krieges begann der Kläger zu rauchen; außer während der Gefangenschaft behielt er seine Gewohnheit, vier bis sechs Pfeifen pro Tag zu rauchen, bis 1966 bei. Nachdem im Frühjahr 1970 Heiserkeit aufgetreten war, begab sich der Kläger im Oktober 1970 in fachärztliche Behandlung. Wegen einer Kehlkopfkrebserkrankung stellte er am 8. November 1970 seine Berufstätigkeit ein. Im Dezember 1970 wurde ihm der Kehlkopf operativ entfernt. Ab 1. Mai 1971 bezieht er Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.
Nachdem die Firma H. GmbH mitgeteilt hatte, der Kläger sei zu ca. 80 bis 90 % mit Teerarbeitertätigkeit beschäftigt gewesen, ließ die Beklagte den Kläger in der Universitäts-Klinik und Poliklinik für Hals-, Nasen- und Ohrenkranke in H./S. untersuchen. Im Gutachten vom 2. Mai 1973 legten Professor Dr. P./Dr. H. dar, der Kläger sei vor Auftreten der ersten Heiserkeitssymptome 14 Jahre als Teerwerker beschäftigt gewesen, unter Berücksichtigung dieser Exposition sei der Kehlkopfkrebs als Berufskrankheit anzusehen; die Schädigungsfolgen seien mit einer Gesamt-Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 90 % zu bewerten. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 28. Mai 1973 hielt Dr. H. an diesem Ergebnis fest. Der Staatliche Gewerbearzt Dr. Z. vertrat im September 1973 die Auffassung, unter Teerwerkern sei eine zahlenmäßig höhere Erkrankung nachweisbar und da im vorliegenden Fall neue Erkenntnisse vorlägen, empfehle er die Entschädigung des Leidens wie eine Berufskrankheit.
Im November 1973 ermittelte der Technische Aufsichtsdienst der Beklagten die Arbeitsbedingungen des Klägers bei der H. GmbH. Anschließend gelangten Professor Dr. V./Professor Dr. Sch. vom Zentrum der Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde des Klinikums der Johann Wolfgang Goethe-Universität F. im Gutachten vom 29. Januar 1974 zu dem Ergebnis, der Kehlkopfkrebs sei als berufsbedingt anzusehen und sollte wie einer Berufskrankheit entschädigt werden. Nach Ermittlung der Arbeitsbedingungen des Klägers bei der Firma S. durch den Technischen Aufsichtsdienst der Beklagten im Mai 1974 beurteilte der Internist Dr. Schn. aus M., der über eine Teerkrebsgefährdung von Straßenbauarbeitern im Dezember 1968 bereits ein Gutachten erstattet hatte, den Krankheitfall des Klägers in seinem Gutachten vom 12. November 1974 erneut: Der Kläger sei bei seiner Berufstätigkeit keinen Gefährdungen ausgesetzt gewesen, die einen Kehlkopfkrebs hätten auslösen können; sowohl statistische Erfahrungen als auch arbeitstechnische Überlegungen sprächen gegen die Annahme einer beruflichen Verursachung des Kehlkopfkrebsleidens. Nachdem der Kläger nähere Angaben über seine frühere Berufstätigkeit mitgeteilt und die Beklagte Auskünfte der Lieferfirmen der verwendeten Arbeitsstoffe eingeholt hatte, äußerte sich Dr. Sch. im Gutachten vom 24. Juni 1975 wiederum mit dem Ergebnis, der Kläger sei während seiner Berufstätigkeit einer krebserregenden Exposition nicht ausgesetzt gewesen und seine Erkrankung sei infolgedessen nicht berufsbedingt verursacht. Daraufhin lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 25. Juli 1975 die Leistungsgewährung ab.
Mit der Klage hat der Kläger darauf hingewiesen, die Beklagte habe die Feststellungen des Staatlichen Gewerbearztes über die höhere Zahl von an Krebs befallenen Teerwerkern völlig außer acht gelassen. Schließlich sei bedeutsam, daß – durch die Berufskrankheitenverordnung anerkannt – Hautkrebs oder zur Krebsbildung neigende Hautveränderungen durch Teer oder ähnliche Stoffe entstehen könnten. Da sein Leiden durch die langjährige berufliche Tätigkeit verursacht sei, habe er Anspruch auf Entsch...