Leitsatz (amtlich)
Lehnt ein Arbeitsloser die Annahme einer vom Arbeitsamt angebotenen Schichtarbeit aus religiöser Überzeugung ab, weil er andernfalls gezwungen wäre, am Sabatt, d.h. in der Zeit zwischen Sonnenuntergang am Freitag und am Samstag zu arbeiten, liegt darin ein wichtiger Grund.
Normenkette
AFG § 119 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Fassung 1969-06-25
Verfahrensgang
SG Speyer (Urteil vom 14.03.1979; Aktenzeichen S 3 Ar 58/78) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 14. März 1979 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Mit der zugelassenen Berufung begehrt die Beklagte Bestätigung der Feststellung einer vierwöchigen Sperrzeit gemäß § 119 Abs. 1 Satz 1 Ziff. 2 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG).
Die 1924 geborene Klägerin arbeitete bis 1977 bei der Firma K., … in F. als Bohrerin und Walzerin. Zum 24. Juli 1977 kündigte ihr der Arbeitgeber wegen krankheitsbedingter Unfähigkeit zur Fortsetzung dieser Arbeit. Am 25. Juli 1977 meldete sich die Klägerin beim Arbeitsamt Ludwigshafen arbeitslos und erhielt, abgesehen von der streitigen Sperrzeit, antragsgemäß Arbeitslosengeld bis zu ihrer Erkrankung am 10. August 1978. Seither ist die Klägerin noch immer arbeitslos.
Am 12. Januar 1978 bot das Arbeitsamt der Klägerin eine Stelle als Betriebsarbeiterin bei der Firma B.-Werke in F. an. Die Arbeitszeit betrug 40 Wochenstunden bei Schichtarbeit, und zwar sollte die Frühschicht von 6.00 bis 14.15 Uhr, die Spätschicht von 14.14 bis 22.30 Uhr laufen. Die Klägerin lehnte das Angebot ausweislich der Niederschrift Blatt 9 der Verwaltungsakten trotz Belehrung über die Rechtsfolgen ab. Sie gehöre der Religionsgemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten an, die fest an der Bibel halte. Danach dürfe am Tag des Herrn, von Sonnenuntergang am Freitag bis Sonnenuntergang am Samstag, nicht gearbeitet werden. Mit Bescheid vom 18. Januar 1978 und Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 1978 stellte das Arbeitsamt eine Sperrzeit vom 13. Januar bis 9. Februar 1978 fest. Die Zugehörigkeit zu den Adventisten reiche als Grund für die Ablehnung einer Arbeit nicht aus. Bei Abwägung der Interessen der Gemeinschaft der Beitragszahler an einer baldigen Weiterbeschäftigung gegen die persönlichen Interessen der Klägerin bestehe für die Arbeitsablehnung kein wichtiger Grund. Andernfalls müsse Schichtarbeit an Sonntagen grundsätzlich als unzumutbar angesehen werden. Die Klägerin werde im übrigen nicht an der Religionsausübung gehindert. Sie müsse aber einem gewissen Rahmen die Folgen dafür selbst tragen und könne sie nicht der versicherten Gemeinschaft aufbürden.
Mit der Klage hat die Klägerin geltend gemacht, das Grundgesetz gewähre Religions- und Gewissensfreiheit einschließlich der Freiheit der ungestörten Religionsausübung. Darauf habe auch die Arbeitsverwaltung Rücksicht zu nehmen. Für ihre Religionsgemeinschaft gelte der Sonnabend als kirchlicher Feiertag, an welchem keine Arbeit gestattet sei. Sie sei bereit, wie die Mehrheit der Bevölkerung montags bis freitags zu arbeiten, freitags bis Sonnenuntergang (18 Uhr), und darüber hinaus auch sonntags. Ihre Vermittlungsfähigkeit könne man daher kaum verneinen, jedenfalls stehe sie dem Arbeitsmarkt ausreichend zur Verfügung.
Mit Urteil vom 14. März 1979 hat das Sozialgericht Speyer die angefochtenen Bescheide aufgehoben. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Mit der form- und fristgerecht eingelegten Berufung trägt die Beklagte vor, nach Art. 139 der Weimarer Reichsverfassung in Verbindung mit Art. 140 Grundgesetz (GG) sei nur der Sonntag gesetzlich geschützt. Die Klägerin dürfe gegenüber der Mehrheit der Bevölkerung nicht bevorzugt werden, die bei Ablehnung von Sonntagsarbeit auch arbeits- und sozialversicherungsrechtliche Konsequenzen zu tragen hätte. Die vielen Berufsbereiche (Handel, öffentliches und privates Verkehrsgewerbe, Gesundheitswesen, Rettungsdienste, Landwirtschaft, Lehr- und Erziehungsberufe, Schichtbetriebe), in denen auch sonnabends gearbeitet werde, stellten keinesfalls nur Ausnahmen von der Regel dar. Im übrigen habe die Klägerin zumindest versuchen müssen, mit dem Arbeitgeber eine spezielle Arbeitszeitregelung zu treffen.
Die Beklagte beantragt,
das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen. Im übrigen macht sie geltend, wie Zehntausende von Adventisten in der Bundesrepublik ohne Schwierigkeiten in beliebige Arbeitsstellen vermittlungsfähig seien, stehe sie auch sie der Vermittlung ausreichend zur Verfügung. Immerhin sei sie 20 Jahre lang berufstätig gewesen.
Zur Ergänzung des Tatbestands wird auf die Prozeßakten und die Akten des Arbeitsamts Ludwigshafen – Stamm-Nr. … – Bezug genommen; sie waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg. Das Sozialgericht h...