Entscheidungsstichwort (Thema)

erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr. Freifahrtvergünstigung. Freifahrtausweis

 

Leitsatz (amtlich)

1. Die vor Oktober 1979 getroffenen Feststellungen der Versorgungsbehörden über die gesundheitlichen Merkmale des Merkzeichens G sind in Bestandskraft (Bindungswirkung) erwachsen.

2. Für diese Fälle stellt der Wegfall der Rechtsvermutung nach SchwbG § 58 Abs. 1 Satz 2 a.F. im allgemeinen keine wesentliche Änderung der rechtlichen Verhältnisse dar.

 

Normenkette

SchwbG Fassung 15. Juni 1976 § 3 Abs. 4; SchwbG § 57 Abs. 1 S. 1; SchwbG i.d.F. vom 1. Oktober und 1. April 1984 § 58 Abs. 14; UnBefG 1965 § 2 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2; UnBefG 1979 Art. 1 Nr. 6, Art. 10 Abs. 1; HBeglG 1984 Art. 20 Nr. 2, Art. 39 Abs. 8; SGG § 77; SGB X §§ 39, 43, 45, 48

 

Verfahrensgang

SG Speyer (Urteil vom 27.11.1984; Aktenzeichen S 5 Vs 335/84)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 18.12.1985; Aktenzeichen 9a RVs 34/85)

 

Tenor

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 27. November 1984 wird zurückgewiesen.

2. Der Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Rechtsstreit geht darum, ob die gesundheitlichen Merkmale als Voraussetzung für die Inanspruchnahme der Vergünstigung unentgeltlicher Beförderung im öffentlichen Personenverkehr (sog Freifahrtvergünstigung) durch Neufeststellung des Anspruchs für die Zeit ab April 1984 nicht mehr festzustellen sind.

Den 1927 geborenen Kläger erkannte das Versorgungsamt als Schwerbehinderten an, zunächst mit einer MdE um 70 vH ohne Vergünstigungsmerkzeichen (Bescheid vom 27. März 1979).

Auf seinen Widerspruch stellte das Landesversorgungsamt, gestützt auf eine Stellungnahme des MedDir Dr. J. vom 8. Juni 1979, unter Ergänzung der Behinderungen die MdE mit 80 vH fest (Widerspruchsbescheid vom 8. Juni 1979).

Im Ausführungsbescheid des Versorgungsamts vom 20. Juni 1979 ist unter Nr. II h „erhebliche Gehbehinderung/Geh- und Stehbehinderung/erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen: G)” festgestellt.

Der am 15. Mai 1979 ausgestellte Schwerbehindertenausweis ohne orangefarbenen Flächenaufdruck wurde entsprechend geändert.

Als Behinderungen sind beim Kläger anerkannt: 1. Schwerhörigkeit beidseits, Narben am Gesäß und rechten Bein, Metallsplitter in den Weichteilen des rechten Unterschenkels, Narben am linken Oberschenkel; 2. posttraumatisches Anfallsleiden nach Hirnprellung mit traumatischer Epilepsie; 3. Zermürbungserscheinungen der Wirbelsäule sowie 4. Leberzellstörung und Hyperlipidämie.

Nach Hinweis der Versorgungsbehörde auf die Änderung der Vorschriften über die Freifahrtvergünstigung ab Oktober 1979 und auf Antrag des Klägers vom August 1979, ihm einen neuen Ausweis mit orangefarbenem Flächenaufdruck (sog Freifahrtausweis) auszustellen, erhielt der Kläger mit Bescheid vom 24. September 1979 unter Bezug auf Art. 3 Abs. 2 UnBefG 1979 diesen Ausweis, versehen mit dem Merkzeichen G.

Im September 1983 verneinte in einer formularmäßigen Stellungnahme die Ärztin R. W. beim Kläger die Voraussetzungen einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr.

Mit Schreiben vom 19. Dezember 1983 teilte das Versorgungsamt dem Kläger u.a. mit: Bei der Ausstellung des Freifahrtausweises sei die erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit in Straßenverkehr nicht zu prüfen, sondern gemäß § 58 Abs. 1 Satz 2 SchwbG ab einer MdE von 80 vH zu unterstellen gewesen. Wegen Aufhebung dieser Bestimmung mit Wirkung ab April 1984 sei auch beim Kläger Voraussetzung für die Freifahrtvergünstigung, daß tatsächlich eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr i.S.d. § 58 Abs. 1 Satz 1 SchwbG vorliege. Dies sei bei ihm nach den ärztlichen Unterlagen nicht der Fall. Ab April 1984 gehöre er danach nicht mehr zu dem Personenkreis, der die Freifahrtvergünstigung in Anspruch nehmen kann. Es sei daher beabsichtigt, einen entsprechenden Bescheid zu erteilen, weshalb er nach § 24 SGB 10 Gelegenheit zur Äußerung erhalte.

Der Kläger, der im September 1983 eine Neufeststellung wegen Leidensverschlimmerung beantragt hatte, wandte sich gegen die Auffassung der Versorgunsbehörde und überreichte ein Attest des Internisten Dr. V. vom 5. Januar 1984.

Die Versorgungsbehörde zog die den Kläger betreffenden Akten der Bundesknappschaft u.a. mit einem Gutachten des Orthopäden Dr. K. vom 3. Dezember 1981 bei und ließ ein Gutachten des Neurologen und Psychiaters Dr. Dr. B. vom 7. November 1983 erstatten.

Mit dem hier streitbefangenen Bescheid vom 19. April 1984 stellte das Versorgungsamt unter Bezug auf 48 Abs. 1 Satz 1 SGB 10 fest, daß eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr i.S.d. § 58 Abs. 1 Satz 1 SchwbG beim Kläger nicht vorliege.

Im anschließenden Klageverfahren hat das Sozialgericht Befundberichte des Dr. V. und des Dr. Dr. B. sowie des HNO-Arztes Dr. S. und des Orthop...

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