Entscheidungsstichwort (Thema)

Erstattungsanspruch der Bundesagentur für Arbeit. rückwirkende Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung. Kenntnis des Arbeitslosengeldbezuges. Erfüllungsfiktion. keine Erstattungspflicht des Arbeitslosen

 

Orientierungssatz

1. Bei rückwirkender Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung kann die Bundesagentur für Arbeit einen Anspruch auf Erstattung von Arbeitslosengeld nach § 125 Abs 3 S 2 SGB 3 (ggfs über § 142 Abs 2 S 2 SGB 3) gegenüber dem Arbeitslosen geltend machen, wenn der Rentenversicherungsträger keine Kenntnis von der Bewilligung von Arbeitslosengeld hatte.

2. War dem Rentenversicherungsträger die Gewährung von Arbeitslosengeld durch die Bundesagentur für Arbeit bekannt, steht die Erfüllungsfiktion des § 107 SGB 10 einem Erstattungsanspruch gegenüber dem Arbeitslosen entgegen. Dies schließt auch eine Rücknahme oder Aufhebung nach den §§ 45, 48 SGB 10 aus. Der Bundesagentur für Arbeit steht kein Wahlrecht dahingehend zu, auf einen Erstattungsanspruch gegenüber dem Rentenversicherungsträger zu verzichten und sich stattdessen an den Arbeitslosen zu halten.

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 20.06.2011 - S 17 AL 255/10 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat dem Kläger die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung der Bewilligung von Arbeitslosengeld (Alg) für den Zeitraum vom 01.05.2009 bis 07.01.2010 und die Erstattung von Leistungen.

Der 1960 geborene Kläger war von 1995 bis 30.11.2008 versicherungspflichtig beschäftigt. Vom 12.07. bis 07.08.2007 bezog er Übergangsgeld und vom 08.08.2007 bis zur Aussteuerung am 30.11.2008 Krankengeld von der Allgemeinen Ortskrankenkasse Rheinland-Pfalz (AOK). Er meldete sich am 21.11.2008 arbeitslos, erklärte sich im Antrag vom 08.12.2008 bereit, sich im Rahmen des festgestellten Leistungsvermögens zur Verfügung zu stellen, wies darauf hin, dass er am 08.05.2008 bei der Deutschen Rentenversicherung Rheinland-Pfalz (DRV) eine Rente wegen Erwerbsminderung beantragt habe und bestätigte durch seine Unterschrift, das Merkblatt 1 für Arbeitslose erhalten zu haben. Die Beklagte bewilligte ihm Alg ab 01.12.2008 in Höhe von täglich 41,86 € für 360 Kalendertage (Bescheid vom 11.12.2008 und Änderungsbescheid vom 20.02.2009). Gegenüber der DRV meldete die Beklagte mit Schreiben vom 11.12.2008 einen Erstattungsanspruch für die ab 01.12.2008 gezahlten Leistungen an.

Der Kläger absolvierte vom 11.02. bis 18.03.2009 eine medizinische Rehabilitationsmaßnahme und erhielt in diesem Zeitraum von der DRV Übergangsgeld. Die Beklagte hob die Bewilligung von Alg ab 11.02.2009 auf (Bescheid vom 09.02.2009). Der Kläger meldete sich am 19.03.2009 erneut arbeitslos und erklärte sich im Antrag vom 20.03.2009 wiederum bereit, sich im Rahmen des festgestellten Leistungsvermögens für die Vermittlung zur Verfügung zu stellen. Die Beklagte bewilligte ihm ab dem 19.03.2009 Tag erneut Alg in Höhe von täglich 41,86 € für 290 Kalendertage (Bescheid vom 24.03.2009). Den Bescheid vom 23.11.2009, mit dem die Entscheidung über die Bewilligung von Alg ab 23.11.2009 wegen einem Ende der Leistungsfortzahlung im Krankheitsfall aufgehoben wurde, hob die Beklagte durch den Änderungsbescheid vom 01.12.2009 auf, mit welchem Alg über den 22.11.2009 hinaus in Höhe von täglich 41,86 € für 45 Tage weiterbewilligt wurde. Der Kläger erhielt Alg bis zur Erschöpfung des Anspruchs mit Ablauf des 07.01.2010 gezahlt. Im Zeitraum vom 01.05.2009 bis 07.01.2010 betrugen die Zahlungen 10.339,42 €.

Die DRV gewährte ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit bis 31.12.2010 ausgehend von einem Leistungsfall am 14.10.2008 und einem Rentenbeginn vom 01.05.2009; die laufenden Zahlungen wurden ab 01.04.2010 geleistet. Die Beklagte erhielt von der DRV mit Schreiben vom 12.02.2010 den Zeitpunkt der Bewilligung der Rente sowie den Betrag der einbehaltenen Rentennachzahlung für den Zeitraum vom 01.05.2009 bis 31.03.2010 in Höhe von 14.560,50 € mitgeteilt und sie wurde gebeten, einen Erstattungsanspruch baldmöglichst zu beziffern. Die Beklagte teilte der DRV am 19.02.2010 mit, dass der vorsorglich angemeldete Erstattungsanspruch aus der Rentennachzahlung nicht geltend gemacht werde.

Nach Anhörung hob die Beklagte die Bewilligung von Alg ab dem 01.05.2009 auf, da der Anspruch des Klägers wegen der Rentengewährung geruht habe (§ 48 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Er habe wissen müssen bzw. habe erkennen können, dass ihm Alg ab Bewilligung der Erwerbsminderungsrente nicht mehr zustehe. Auch die Tatsache, dass hier offensichtlich ein Amtsverschulden vorliege, berechtigte ihn nicht zum Doppelbezug von Sozialleistungen. Es seien Leistungen in Höhe von 10.339,42 € zu erstatten (Bescheid vom 13.10.2010). Der Widerspruch wurde am 27.10.2010 zurückgewiesen.

Der Kläger hat am 22.11.2010 Klage vor dem Sozialgericht Koblenz (SG...

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