Entscheidungsstichwort (Thema)

Förderung der Teilhabe behinderter Menschen am Arbeitsleben. Ausbildungsgeld. keine Anrechnung von Elterneinkommen bei Begründung eines eigenen Haushalts. verheiratete zusammenlebende Eltern. Gleichstellung mit getrennt lebenden Eltern. Verfassungsmäßigkeit

 

Orientierungssatz

1. Auf das Ausbildungsgeld eines behinderten Menschen, der in einem eigenen Haushalt lebt, ist das Einkommen der verheirateten zusammenlebenden Eltern nicht anzurechnen.

2. Die Freistellung allein getrennt lebender bzw geschiedener, nicht mit dem behinderten Auszubildenden in einem gemeinsamen Haushalt lebender Eltern von der Anrechnung des Elterneinkommens, nicht aber die zusammenlebender Eltern, die nicht mit dem behinderten Auszubildenden in einem gemeinsamen Haushalt leben, stehen mit den verfassungsrechtlichen Wertungen des Art 6 Abs 1 GG wie auch mit Art 3 Abs 1 GG nicht in Übereinstimmung.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 14.05.2014; Aktenzeichen B 11 AL 3/13 R)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Koblenz vom 08.05.2012 - S 9 AL 34/12 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt für die Zeit ab dem 01.07.2011 die Gewährung eines höheren Ausbildungsgeldes. Sie wendet sich gegen die Anrechnung des Einkommens ihrer Eltern.

Für die im Mai 1982 geborene behinderte Klägerin ist eine Betreuung angeordnet. Der Aufgabenkreis der Betreuerin umfasst die Sorge für die Gesundheit, Aufenthaltsbestimmung, Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden und Dritten, Postangelegenheiten. Ein Einwilligungsvorbehalt ist für den Bereich der Vermögenssorge bis zum 11.11.2012 angeordnet. Die Klägerin wohnt in einer eigenen Wohnung in N. Der Mietzins betrug nach dem Mietvertrag vom 22.09.2008 monatlich insgesamt 343,00 €. Die Eltern der Klägerin sind miteinander verheiratet, nicht getrennt lebend und haben neben der Klägerin zwei weitere gemeinsame, im November 1988 und im Februar 1992 geborene Kinder.

Die Klägerin hatte im September 2008 für ihre Ausbildung zur Bürokauffrau bei dem Berufsbildungswerk H in N in der Zeit vom 04.08.2008 bis zum 03.08.2011 bei der Beklagten Ausbildungsgeld beantragt. Ihr waren zunächst mit Bescheid vom 30.10.2008 vorläufig Leistungen in Höhe von (iHv) monatlich 559,00 € für die Zeit vom 04.08.2008 bis zum 03.02.2010 bewilligt worden sowie auf ihren Antrag auf Weiterbewilligung mit Bescheid vom 18.01.2010 für die Zeit vom 04.02.2010 bis zum 03.08.2011 vorläufig Leistungen iHv monatlich 323,00 €. Dem hiergegen erhobenen Widerspruch der Klägerin war vollumfänglich abgeholfen worden. Auf der Grundlage des Steuerbescheides der Eltern der Klägerin für das Einkommensteuerjahr 2008 hatte die Beklagte die Bewilligung für den Zeitraum 04.02.2010 bis 03.08.2011 abgelehnt, weil die Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts anderweitig zur Verfügung stünden. Hiergegen hatte die Klägerin Widerspruch eingelegt. Die Beklagte hatte hierauf mit Bescheid vom 19.08.2010 für den Monat Juli 2010 und den Zeitraum 01.08.2010 bis 03.08.2011 Leistungen monatlich iHv 314,00 € bewilligt.

Die Klägerin hatte in der Folge ihre am 04.08.2008 begonnene Ausbildung zur Bürokauffrau ab dem 31.08.2010 aus gesundheitlichen Gründen unterbrochen. Als letzter Tag der Maßnahme war der 31.08.2010 angegeben. Entsprechend war mit Datum vom 30.08.2010 ein Aufhebungsbescheid ab dem 01.09.2010 ergangen.

Die Betreuerin der Klägerin zeigte dann mit Schreiben vom 15.06.2011 die Fortsetzung der Ausbildung zur Bürokauffrau am 01.07.2011 an und beantragte die Gewährung von Ausbildungsgeld. Sie gab an, es sei bislang ungeklärt, ob die Klägerin einen Anspruch auf Unterhaltsleistungen gegen ihre Eltern habe.

Die Eltern der Klägerin legten Ende Juni 2011 Erklärungen über ihre Einkommensverhältnisse und den Bescheid für 2009 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer vom 11.03.2011 vor. Hiernach betrug das zu versteuernde Einkommen nach dem Splittingtarif 59.689 €. Die Beklagte errechnete einen monatlichen Bedarf der Klägerin iHv 497,00 € zuzüglich eines Zusatzbedarfs für die mit 343,10 € bezifferte Miete iHv 75,00 €. Unter Zugrundelegung eines monatlichen Gesamtbedarfs iHv 572,00 € abzüglich des anzurechnenden Einkommens der Eltern iHv 271,68 € bewilligte die Beklagte der Klägerin sodann mit Bescheid vom 20.07.2011 für die Zeit vom 01.07.2011 bis zum 30.06.2012 Leistungen iHv monatlich 300,00 €.

Mit ihrem hiergegen am 01.08.2011 erhobenen Widerspruch wandte sich die Klägerin gegen die Anrechnung des Einkommens ihrer Eltern.

Bereits am 27.07.2011 hatte die Klägerin bei dem Sozialgericht Koblenz (SG) einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt (S 17 AL   11 ER). Mit Beschluss vom 17.08.2011 hat das SG die Beklagte verpflichtet, der Klägerin vorläufig Ausbildungsgeld ohne Anrechnung des Einkommens der Eltern für die Zeit ab dem 27.07....

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