Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitsvermittlung. Anspruch des Bordellbetreibers gegenüber der Bundesagentur für Arbeit auf Vermittlung von Prostituierten in Arbeitsverhältnisse. kein Vermittlungsverbot aufgrund Sittenwidrigkeit. Ermessensausübung. verfassungskonforme Auslegung
Orientierungssatz
1. Dem Antrag eines Bordellbetreibers auf Vermittlung von Prostituierten in Arbeitsverhältnisse steht das Vermittlungsverbot des § 36 Abs 1 SGB 3 nicht entgegen.
2. Zu den Anforderungen an die notwendige Ermessensausübung bei der Entscheidung über den Vermittlungsantrag unter verfassungskonformer Auslegung.
Nachgehend
Tenor
Der Bescheid der Beklagten vom 8. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. August 2004 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, über den Vermittlungsantrag des Klägers vom 17. Mai 2004 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
2. |
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Der Kläger und die Beklagte tragen die Verfahrenskosten je zur Hälfte. |
3. |
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Die Revision wird zugelassen. |
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Vermittlung von Prostituierten.
Der Kläger betreibt in S ein Bordell, in welchem Prostituierte als Selbständige sexuelle Dienstleistungen gegenüber Dritten erbringen. Im Rahmen vertraglicher Vereinbarungen mit den Prostituierten stellt der Kläger diesen unter anderem ausgestattete Räume gegen Entgelt zur Verfügung. Er beabsichtigt, in Zukunft Arbeitsverhältnisse mit Prostituierten zu begründen, die für ihn im Rahmen sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse tätig sein sollen.
Mit Schreiben vom 17. Mai 2004 bat der Kläger die Beklagte um Vermittlung deutscher Prostituierter sowie Prostituierter aus den EU-Mitgliedstaaten. Art der Tätigkeit sei die Vornahme sexueller Handlungen. Es heißt weiter:
≪ Gesucht wird eine Frau und/oder ein bisexuell veranlagter Mann für Massagen, den zärtlichen Bereich, Geschlechts- und/oder Oralverkehr. Erfahrung im Prostitutionsgewerbe sind von Vorteil. Ein schlankes und gepflegtes Äußeres wird erwartet. Equipment wie Hygieneartikel, Bettwäsche, Kondome und Getränke werden vom Arbeitgeber gestellt.≫
Mit Bescheid vom 8. Juni 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. August 2004 lehnte die Beklagte die Annahme des Vermittlungsauftrages ab, weil die Entgegennahme und Ausführung des Antrages gegen die guten Sitten verstoße (§ 36 Abs. 1 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch - SGB III -). Der Begriff der guten Sitten sei keiner allgemeingültigen Definition zugänglich. Auch hätten die gesellschaftlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen im Umfeld der Prostitution in den letzten Jahren eine erhebliche Wandlung erfahren. Ein zu begründendes Ausbildungs- oder Arbeitsverhältnis könne nach seinem Zweck oder aufgrund seiner Arbeitsbedingungen sittenwidrig sein. Ersteres sei der Fall, wenn es auf die Erbringung sittlich anstößiger Leistungen ziele, was bei der vorliegenden Tätigkeit unverändert gegeben sei. Die zweite Alternative sei auf die gesamten Rahmenbedingungen einer Beschäftigung gerichtet. Im Hinblick auf Artikel 1 sowie Artikel 2 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) bestünden in diesem Zusammenhang zumindest erhebliche Bedenken. Aus dem Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 20. Dezember 2001 gehe nichts anderes hervor, denn dieses diene allein dem Schutz und der Absicherung der Betroffenen, beinhalte jedoch keine moralische oder sittliche Wertung der Tätigkeit selbst oder gar deren gesellschaftliche Legitimation.
Das Sozialgericht Speyer (SG) hat die hiergegen erhobene Klage durch Urteil vom 4. Mai 2006 (S 10 AL 1020/04) abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, zwar habe der Arbeitgeber grundsätzlich gemäß § 35 SGB III einen Vermittlungsanspruch, dem auch nicht § 36 Abs. 1 SGB III entgegenstehe, da er im Verhältnis Arbeitgeber/Bundesagentur nicht anwendbar sei. Die konkrete Entscheidung über ein Vermittlungsbegehren erfolge aber durch Ermessensausübung, in deren Rahmen sich der konkrete Vermittlungsauftrag an dem allgemeinen Rechtsgrundsatz der Sittenwidrigkeit als absolutem Versagungsgrund messen lassen müsse. Zwar sei mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten vom 20. Dezember 2001 (Prostitutionsgesetz - ProstG - BGBl. I S. 3983) am 1. Januar 2002 zu der Frage der Sittenwidrigkeit der Vereinbarung zwischen Kunden und Prostituierten ein rechtlicher Wandel eingetreten, der nach Einschätzung des Gesetzgebers dem Umstand folge, dass die Bewertung dieser Vereinbarung als sittenwidrig von weiten Teilen der Bevölkerung nicht mehr geteilt werde. Keine Aussage treffe das ProstG hinsichtlich der Frage, ob der Vertrag mit Prostituierten zumindest teilweise, nämlich hinsichtlich der Verpflichtung zu sexuellen Handlungen, weiterhin sittenwidri...