Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialrechtliches Verwaltungsverfahren. Überprüfungsantrag nach § 44 SGB 10. Überprüfungspflicht und Überprüfungsmaßstab. Anforderungen an den Überprüfungsantrag

 

Orientierungssatz

Eine Prüfpflicht nach § 44 Abs 1 S 1 SGB 10 wird erst bei einem hinreichend objektiv konkretisierbaren Antrag ausgelöst. Dazu muss sich der Verwaltung bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens entweder aus dem Antrag selbst - ggf nach Auslegung - oder aufgrund konkreter Nachfrage objektiv erschließen, aus welchem Grund (Rechtsfehler und/oder falsche Sachverhaltsgrundlage) nach Auffassung des Leistungsberechtigten eine Überprüfung erfolgen soll (vgl LSG Mainz vom 7.12.2019 - L 3 AS 60/19).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 17.09.2020; Aktenzeichen B 4 AS 241/20 B)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 13. Februar 2019 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten des Klägers sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Ablehnung der Überprüfung eines Aufhebungs- und Erstattungsbescheides für Oktober 2014 bis Februar 2015.

Der 1969 geborene Kläger bezog seit September 2014 (vgl. 90 VA) Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) von dem Beklagten. Mit Bescheid vom 1. Oktober 2014 waren ihm Grundsicherungsleistungen (unter anderem) für Oktober 2014 bis Februar 2015 ohne Anrechnung von Einkommen in Höhe von 868,49 Euro monatlich vorläufig bewilligt worden. Die vorläufige Bewilligung begründete der Beklagte mit einer noch ausstehenden Entscheidung über eine vom Kläger beantragte Erwerbsminderungsrente.

Bei der Leistungsberechnung blieben mehrere Zahlungen seines früheren Arbeitgebers (BASF), so auch eine dem Kläger im Oktober 2014 zugeflossene Urlaubsgratifikation Höhe von 3.674,52 Euro, Zins- und Dividendengutschriften sowie Bareinzahlungen Dritter auf das Girokonto des Klägers, darunter 1.760 Euro im September 2014, unberücksichtigt.

Auf Aufforderung des Beklagten vom 27. Mai 2015 und 16. Juni 2015 machte der Kläger unter dem 9. und 21. Juni 2015 ergänzende Angaben zu seinen Vermögensverhältnissen. Unter anderem gab er zur Herkunft der Bareinzahlungen seit 1. September 2014 an, das Geld komme von Privatpersonen und diene einzig und allein dazu, seine etwaige Zahlungsunfähigkeit zu vermeiden.

Nach schriftlicher Anhörung des Klägers vom 10. November 2015 hob der Beklagte mit Bescheid vom 23. November 2015 seine bisherige Leistungsentscheidung für November 2014 bis Februar 2015 teilweise wegen der dem Kläger im Oktober 2014 zugeflossenen Urlaubsgratifikation der BASF nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) auf. Die überzahlten Leistungen in Höhe von insgesamt 2.351,68 Euro seien nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten. Der Bescheid wurde vom Kläger nicht angefochten.

Nach erneuter schriftlicher Anhörung vom 4. Dezember 2015 hob der Beklagte mit Bescheid vom 21. Januar 2016 seine bisherige Leistungsentscheidung für Oktober 2014 und Januar 2015 nochmals teilweise sowie für November und Dezember 2014 wie auch für Februar 2015 ganz wegen der dem Kläger im September 2014 zugeflossenen Bareinzahlung nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X auf. Die überzahlten Leistungen in Höhe von insgesamt 1.466,65 Euro seien nach § 50 Abs. 1 SGB X zu erstatten. Die zu erstattenden Leistungen würden ab dem 1. April 2016 in Höhe von bis zu 121,60 Euro mit dem jeweiligen Leistungsanspruch aufgerechnet. Der Bescheid erwuchs in Bestandskraft.

Mit Schreiben vom 30. September 2016 beantragte der nunmehr anwaltlich vertretene Kläger die Überprüfung des „Erstattungsbescheids“ vom 21. Januar 2016 und erklärte: „Gemäß § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt dann mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen wenn sich im Einzelfall ergibt, dass bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind. Diese Voraussetzungen sind vorliegend gegeben.“

Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 12. Oktober 2016 ab. Der Überprüfungsantrag sei ohne Sach- und Rechtsprüfung abzulehnen. Für einen Antrag im Sinne des § 44 SGB X sei es erforderlich, dass die Gründe für die Unrichtigkeit des zu überprüfenden Bescheids („für deren Unrichtigkeit“) angegeben würden. Werde der Antrag lediglich pauschal gestellt, so könne dieser ohne Sach- und Rechtsprüfung durch die Behörde abgelehnt werden. Der Kläger habe nicht benannt, welcher Bescheid bzw. welche Bescheide überprüft werden sollten. Eine Sach- und Rechtsprüfung sei daher nicht erforderlich.

Dagegen legte der Kläger am 14. November 2016 Widerspruch ein. Der Bescheid sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten. Eine weitergehende Begründung erfolgte nicht.

Mit Hinweisschreiben vom 14. Februar 2017 bat der Beklagte den Kläger, diesen und andere Widersprüche zu begründen. Soweit er über Unte...

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