Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialhilfe. Eingliederungshilfe. Hilfe zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges. kein Angewiesensein auf das Kraftfahrzeug. Versorgung im Haushalt der Eltern. Übernahme notwendiger Fahrten zu Ärzten oder ärztlich verordneten Behandlungen durch die Krankenkasse. Möglichkeit zur Inanspruchnahme des Behindertenfahrdienstes des Sozialhilfeträgers. keine Verletzung der Menschenwürde durch die Beschränkung der überörtlichen Mobilität
Orientierungssatz
1. Das Angewiesensein auf die Benutzung eines Kraftfahrzeuges iS des § 8 Abs 1 S 2 Halbs 1 BSHG§47V als Voraussetzung für die Gewährung von Hilfen zur Beschaffung eines Kraftfahrzeuges als Leistung zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft gem § 54 Abs 1 S 1 SGB 12 iVm § 55 SGB 9 ist dann nicht gegeben, wenn ein behindertes Kind im Haushalt seiner Eltern versorgt wird, notwendige Fahrten zu Ärzten oder ärztlich verordneten Behandlungen durch die Krankenkasse übernommen werden und es ansonsten den Behindertenfahrdienst des Sozialhilfeträgers in Anspruch nehmen kann.
2. Gem § 1 S 1 SGB 12 ist es Aufgabe der Sozialhilfe, den Leistungsberechtigten die Führung eines Lebens zu ermöglichen, das der Würde des Menschen entspricht. Die Menschenwürde ist jedoch nicht verletzt, wenn man einem behinderten Kind angesichts seiner Behinderung zumutet, seine Lebensbedürfnisse im Wesentlichen am Wohnort zu befriedigen, wo seine Grundversorgung sichergestellt ist.
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten werden die Urteile des Sozialgerichts Koblenz vom 05.05.2010 - S 12 SO 119/09 - und - S 12 SO 33/09 - aufgehoben und die Klagen abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten der Rechtsstreite sind nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt Leistungen der Eingliederungshilfe in Form einer Kraftfahrzeughilfe (Kfz-Hilfe) durch Kostenübernahme für die bereits erfolgte Beschaffung des Kraftfahrzeugs (Kfz) Opel Vivaro sowie für eine Kfz-Inspektion und anfallende Reparaturen.
Bei dem ... 2003 geborenen Kläger wurde Lissenzephalie Typ 1 festgestellt. Damit wird eine durch Genmutation bewirkte, unvollständige Entwicklung des Gehirns beschrieben, was zu komplexen Entwicklungsstörungen mit unterschiedlichen Symptomen, wie z.B. oft einer schwer behandelbaren Epilepsie führt. In der Regel können Betroffene weder laufen noch sprechen und müssen lebenslang gefüttert werden. Eine ursächliche Behandlung ist nicht möglich, einzelne Symptome sind beschränkt behandelbar. Betroffene bleiben auf der Entwicklungsstufe eines Säuglings oder Kleinkinds stehen. Durch intensive Pflege lässt sich die Lebenserwartung des Kindes verlängern.
Der Kläger kann weder laufen noch krabbeln und ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Er leidet unter Epilepsie, was zu auch schweren Krampfanfällen führt. Er bedarf daher auch nachts ständiger Aufsicht. Die Nahrungsaufnahme ist nur mit Hilfe möglich und bedarf nach Auskünften seiner Physiotherapeutin und seiner Logopädin ritualisierter Abläufe, in Form von z.B. festen Zeiten und gleichem situativen Umfeld, da ansonsten Schwierigkeiten im Kau- und Schluckablauf eintreten können.
Von der Pflegeversicherung ist der Kläger ab dem 01.10.2008 in der Pflegestufe III eingruppiert; ab dem 01.12.2008 erhält er ein monatliches Pflegegeld in Höhe von (iHv) 675,00 €. Der Grad der Behinderung wurde auf 100 festgelegt. In seinem Schwerbehindertenausweis sind die Merkzeichen "G", "aG" und "H" eingetragen.
Der Kläger lebt zusammen mit seiner drei Jahre jüngeren, nicht behinderten Schwester bei seinen Eltern. Seine Mutter ist nicht erwerbstätig und betreut ihn hauptsächlich. Der Vater ist Berufssoldat, ihm wurde von seinem Dienstherrn die Möglichkeit von Heimarbeit an in der Regel drei Wochentagen eingeräumt, um ihm die Fahrtzeit zum Dienstort in R. zu ersparen. Bei seiner Tätigkeit zu Hause kann er aber auch telefonisch abberufen werden und mehrtägige Dienstreisen durchführen müssen.
Der Kläger hat ab dem 08.01.2007 den Sonderkindergarten der Lebenshilfe in R. besucht, musste dort aber häufig wegen epileptischer Anfälle vorzeitig abgeholt werden. Aus diesem Anlass bat eine Mitarbeiterin des Kindergartens die Eltern im Januar 2008 zu einem Gespräch, um eine möglicherweise vorliegende Überforderung des Klägers mit dem Kindergartenbesuch zu klären. Etwa ab Februar 2008 hat der Kläger den Kindergarten nicht mehr besucht, am 14.05.2008 erfolgte die Abmeldung. Seither wird der Kläger ganztags zu Hause betreut. Seit dem 01.10.2008 übernimmt der Beklagte die Kosten einer heilpädagogischen Behandlung von bis zu zweimal einer Stunde wöchentlich in Form der nichtmedizinischen ambulanten Hausfrühförderung (Bescheid vom 23.09.2008). Diese Frühförderung wurde in der Hilfeplanung vom 26.10.2008 als Ersatz für den Besuch des Sonderkindergartens sowie als Entlastung und Unterstützung der Eltern verzeichnet.
Mit Schreiben vom 08.01.2008 beantragte der Vater des Klägers die Kostenübernahme für...