Entscheidungsstichwort (Thema)
Ersatzzeit. Rückkehrverhinderung. Ehepartner. Heirat während Internierung
Leitsatz (amtlich)
Rußlanddeutsche, die während ihrer gemeinsamen Internierung im Zuge feindlicher Maßnahmen nach Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges geheiratet haben, haben beide Anspruch auf Anerkennung einer Auffüllersatzzeit nach § 250 Abs 1 Nr 3 SGB 6 bis längstens 31.12.1991, auch wenn die feindliche Maßnahme wegen der Entwurzelung aus einem deutschen Siedlungsgebiet (vgl BSG vom 8.4.1987 - 5a RKn 13/86 = SozR 2200 § 1251 Nr 126) nach Aufhebung der Internierung nur noch gegenüber einen von ihnen fortdauerte.
Verfahrensgang
SG Koblenz (Urteil vom 24.11.1994; Aktenzeichen S 5 Kn 5/94) |
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 24.11.1994 sowie der Bescheid der Beklagten vom 25.5.1993 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 23.11.1993 und des Bescheids vom 22.3.1993 geändert.
2. Die Beklagte wird verurteilt, die Zeit vom 1.2.1956 bis 31.12.1991 als Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 3 SGB VI anzuerkennen, soweit keine vorrangig anrechenbaren Zeiten vorhanden sind.
3. Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand
Mit der Berufung begehrt die Klägerin weiterhin rentensteigernde Berücksichtigung von Ersatzzeiten vom 1.2.1956 bis 12.1.1992, soweit für den gleichen Zeitraum keine Zeiten nach §§ 15, 16 FRG angerechnet worden sind.
Die Klägerin wurde als Kind deutschstämmiger Eltern am …1927 in K., Gebiet Saratow, in der ehemaligen UdSSR geboren. Vor Ausbruch des deutsch-sowjetischen Krieges wohnte sie nach ihren letzten Angaben in einem Ort ca 5 km außerhalb der Stadtgrenze von Stalingrad, wo sich eine Nebenwirtschaft des Traktorenwerks/Kreis Barikada befunden habe. Der Ort sei überwiegend von Deutschen bewohnt worden. In der zugehörigen Schule habe es deutsche und russische Klassen gegeben. Bis Kriegsausbruch habe es deutsche Zeitungen gegeben, die dann verboten worden seien.
Im September 1941 wurde die Klägerin mit ihren Eltern nach Westkasachstan verbracht, wo sie bis Ende Januar 1956 interniert wurde. Während der Internierungszeit besuchte sie bis Oktober 1943 weiter die Schule. Vom 10.11.1943 bis 11.12.1989 arbeitete sie mit einer längeren Unterbrechung vom 16.9.1953 bis 17.5.1961 als Kontoristin, Bergarbeiterin, Telefonistin und Lagerverwalterin. Am ….1948 heiratete sie. Ihr Ehemann ist ebenfalls deutschstämmig. Er wurde am 7.9.1925 in St. K., Kreis und Gebiet Odessa, geboren. Er würde von dort aus ab August 1941 ebenfalls bis Januar 1956 in Westkasachstan interniert. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen. Sie wurden am ….1949 bzw am ….1951 geboren.
Am 12.1.1992 übersiedelten die Klägerin und ihr Ehemann in die Bundesrepublik. Sie ist Inhaberin eines Vertriebenenausweises A. Auf den im gleichen Monat gestellten Rentenantrag gewährte ihr die Beklagte mit Bescheid vom 25.5.1993 Altersrente für langjährig Versicherte ab 12.1.1992. Dabei wurde nachträglich auch die Zeit bis 31.1.1956 als Ersatzzeit nach § 250 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI anerkannt, soweit keine vorrangig anrechenbaren Zeiten vorlagen (Widerspruchsbescheid vom 23.11.1993).
Mit der Klage hat die Klägerin die Anerkennung der jetzt noch streitigen weiteren Ersatzzeit bis zur Übersiedlung in die Bundesrepublik begehrt. Sie hat geltend gemacht, sie stamme aus der autonomen deutschen Wolgarepublik. Auch bei Kriegsausbruch habe sie mit ihrer Familie in einem überwiegend von Deutschen bewohnten Bezirk von Stalingrad gewohnt. Deshalb müsse bei ihr in Weiterentwicklung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zur Anerkennung von Ersatzzeiten für Wolgadeutsche eine solche auch bis zur Aussiedlung anerkannt werden.
Mit Urteil vom 24.11.1994 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihr am 21.12.1994 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 11.1.1995 Berufung eingelegt, mit der sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Zur rein deutschen Infrastruktur ihres Wohngebiets bei Kriegsausbruch beruft sie sich auf die Angaben der Zeugin M., die seinerzeit dort Lehrerin an einer deutschen Schule gewesen sei. Ergänzend weist sie darauf hin, daß bei ihrem Ehemann, die streitige Zeit ab 1.2.1956 bis zur Vollendung seines 65. Lebensjahres als Ersatzzeit anerkannt worden sei (gerichtlicher Vergleich vom 24.11.1994 – S 5 Kn 29/94 – SG Koblenz).
Die Klägerin beantragt,
das angefochtene Urteil und die angefochtenen Bescheide abzuändern und die Zeit vom 1.2.1956 bis 12.1.1992 als Auffüllersatzzeit anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Aus der Anerkennung der streitigen Zeit bei ihrem Ehemann könne die Klägerin keine Rechte für sich selbst herleiten.
Der Senat hat eine schriftliche Auskunft der Zeugin M. eingeholt. Insoweit wird auf Bl 105 Rückseite der Gerichtsakte verwiesen. ...