Entscheidungsstichwort (Thema)
Schwerbehindertenrecht. Zur Höhe des GdB bei einem Diabetes mellitus
Leitsatz (amtlich)
Ein GdB von 50 ist erst für an Diabetes erkrankte Menschen gerechtfertigt, die eine Insulintherapie mit täglich mindestens vier Insulininjektionen durchführen, wobei die Insulindosis in Abhängigkeit vom aktuellen Blutzucker, der folgenden Mahlzeit und der körperlichen Belastung selbständig variiert werden muss, und wenn sie durch erhebliche Einschnitte gravierend in der Lebensführung beeinträchtigt sind. Die Blutzuckerselbstmessung und die Insulindosen (bzw Insulingaben und die Insulinpumpe) müssen dokumentiert sein.
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Trier vom 23.07.2010 wird zurückgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) nach dem Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - (SGB IX) sowohl im Zugunstenverfahren als auch im Neufeststellungsverfahren.
Der im Jahre 1964 geborene Kläger leidet seit seinem dreizehnten Lebensjahr an Diabetes mellitus Typ I.
Erstmals im Juli 2003 beantragte er die Feststellung seiner Behinderung und des GdB.
Der Beklagte zog daraufhin zahlreiche ärztliche Unterlagen bei.
Nach versorgungsärztlicher Beteiligung stellte der Beklagte mit Bescheid vom 13.10.2003 als Behinderung mit einem GdB von 40 ab dem 01.01.1999 fest:
Insulinpflichtiger Diabetes mellitus (Einzel-GdB 40);
Bluthochdruck (Einzel-GdB 10).
Widerspruch, Klage, Berufung, Nichtzulassungsbeschwerde und Verfassungsbeschwerde des Klägers gegen diese Entscheidung hatten keinen Erfolg (Urteil des Sozialgerichts - SG - Trier vom 26.08.2004 - S 6 SB 3/04; Urteil des Landessozialgerichts - LSG - vom 29.03.2006 - L 4 SB 195/04 -; Beschluss des Bundessozialgerichts - BSG - vom 21.11.2007 - B 9/9a 34/06 B -; Beschluss des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 17.04.2008 - 1 BvR 410/08).
Im Januar 2009 beantragte der Kläger gemäß § 44 Sozialgesetzbuch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) die Rücknahme der früheren Entscheidungen sowie die Feststellung eines höheren GdB im Zugunstenverfahren. Nach der Entscheidung des BSG vom 24.04.2008 habe sich die Rechtslage entscheidend geändert. Nunmehr sei auch der Therapieaufwand zu berücksichtigen. Sein Therapieaufwand sei sehr hoch. Er benötige bis zu zehn Spritzen pro Tag nach entsprechenden Blutzuckermessungen.
Der Beklagte holte Befundberichte des Internisten und Diabetologen Dr B aus T (M d B ) vom 12.06.2009 ein und nahm ein Attest der Fachärzte für Allgemeinmedizin Dr W S und Frau Dr S T vom 25.06.2009 zu den Akten.
Nach versorgungsärztlicher Beteiligung lehnte das Amt für soziale Angelegenheiten Trier mit Bescheid vom 22.07.2009 die Erteilung eines Zugunstenbescheides und die Feststellung eines höheren GdB ab. Das BSG-Urteil habe seinen Niederschlag in der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2008 (Versorgungsmedizinische Grundsätze - VmG -) gefunden. Danach sei der GdB unter Insulintherapie, auch in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Medikamenten, je nach Stabilität oder Stoffwechsellage (stabil oder mäßig schwankend) mit 30 bis 40 zu bewerten. Ein GdB von 50 komme erst bei dem gelegentlichen Auftreten schwerer Hypoglykämien in Betracht. Diese seien bei dem Kläger nicht nachgewiesen.
Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger geltend, es bestehe eine Stoffwechselinstabilität. Außerdem sei es zu einer Verschlimmerung gekommen. Neu aufgetreten sei in den letzten beiden Quartalsuntersuchungen eine Mikroalbuminurie. Die augenärztliche Untersuchung habe keine diabetische Retinopathie ergeben. Die vergleichsweise guten Zuckerhämoglobinwert (HbA1c-Werte) (6,2 % bis 6,8 %) könnten nur dadurch erreicht werden, dass die hohen Blutzuckerwerte durch eine entsprechend große Zahl tief normaler bzw hypoglykämischer Blutzuckerwerte kompensiert würden. Dies ergebe sich auch aus der ärztlichen Bescheinigung von Dr B vom 12.06.2009.
Der Beklagte holte eine Auskunft bei Dr B vom 31.08.2009 ein.
Nach versorgungsärztlicher Beteiligung wies das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung den Widerspruch mit Bescheid vom 19.10.2009 zurück. Für den Diabetes mellitus sei ein GdB von 40 ausreichend. Ein erhöhter Therapieaufwand, der zu einem höheren GdB führen würde, liege nicht vor. Nach den Ausführungen des Diabetologen Dr B führe der Kläger eine typische intensivierte Insulintherapie mit den typischen Dosierungen durch. Schwere Hypoglykämien seien nicht aufgetreten. Es liege ein vergleichsweise guter HbA1c-Wert vor. Ein außergewöhnlicher Therapieaufwand bestehe nicht. Eine instabile Stoffwechsellage liege nicht vor. Zu Schäden an Nieren, Herz und den Gefäßen sei es nicht gekommen.
Im hiergegen durchgeführten Klageverfahren hat das SG Trier ein Gutachten des Facharztes für Innere Medizin, Diabetologie und Kardiologie Dr S vom 22.12.2009 eingeholt. Der Sachverständige hat ausge...