Orientierungssatz

1. Die Bildung von engeren Vergleichsgruppen kann im Rahmen der statistischen Wirtschaftlichkeitsprüfung nur in Betracht kommen, wenn sich die Struktur einer Praxis sowohl hinsichtlich der Zusammensetzung der Patientenklientel als auch hinsichtlich des ärztlichen Diagnose- und Behandlungsangebotes so weit von der Typik einer allgemeinärztlichen Praxis entfernt hat, dass der primärärztliche Versorgungsauftrag nicht mehr umfassend wahrgenommen wird (vgl BSG vom 28.6.2000 - B 6 KA 36/98 R .

2. Eine Spezialisierung bzw eine Beschränkung eines Arztes für Allgemeinmedizin auf bestimmte ärztliche Tätigkeiten und eine dadurch atypische Patientenzusammensetzung, die geeignet wäre, die Vergleichbarkeit mit den übrigen Allgemein- und praktischen Ärzten auszuschließen, lässt sich nicht aus dem geltend gemachten Praxisschwerpunkt einer sogenannten "sprechenden Medizin" herleiten.

3. Im Rahmen der statistischen Vergleichsprüfung nach Durchschnittswerten ist es den Prüfgremien grundsätzlich erlaubt, für verschiedene Versichertengruppen jeweils getrennt eine Wirtschaftlichkeitsprüfung durchzuführen. Insbesondere für die Gruppe der Rentner ist eine solche getrennte Prüfung zulässig.

4. Voraussetzung für eine Überprüfung der Wirtschaftlichkeit der Abrechnung einzelner Leistungspositionen ist, dass es sich um Leistungen handelt, die für die betreffende Arztgruppe typisch sind, also von einem größeren Teil der Fachgruppenmitglieder regelmäßig in nennenswerter Zahl erbracht werden und damit eine ausreichende Vergleichsgrundlage abgeben.

5. Eine allgemeine Behauptung eines überdurchschnittlich hohen Anteils an psychisch destabilisierten oder psychisch kranken Patienten, die ein hausärztliches Gespräch von längerer Dauer benötigten, reicht zur Anerkennung einer Praxisbesonderheit nicht aus.

6. Eine Grenzziehung zum offensichtlichen Missverhältnis bei 50 vH Überschreitung des Fachgruppendurchschnitts ist nur bei Standardleistungen des jeweiligen Fachgebiets statthaft, die von den Ärzten der Fachgruppe entsprechend häufig abgerechnet wurde (vgl BSG vom 9.3.1994 - 6 RKa 17/92 ).

 

Verfahrensgang

SG Mainz (Urteil vom 11.10.2000; Aktenzeichen S 1 KA 264/99)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 16.07.2003; Aktenzeichen B 6 KA 45/02 R)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 11.10.2000 geändert. Die Bescheide des Beklagten vom 20.05.1999 betreffend die Honorarkürzungen der Quartale I und II/96 werden aufgehoben, soweit die Gebührenordnungsziffern 18, 19, 21, 26, 42 und 801 gekürzt worden sind.

2. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

3. Der Beklagte hat dem Kläger 1/3 der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten. Der Kläger hat dem Beklagten 2/3 der außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig sind ein Arzneikostenregress für das Quartal IV/95 sowie Honorarminderungen wegen unwirtschaftlichen Verhaltens in den Quartalen I und II/96.

Der Kläger ist als Allgemeinarzt im Bereich der Beigeladenen zu 1. zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Er behandelte im Quartal IV/95 1.024 Patienten gegenüber 1.044 Patienten im Durchschnitt der Fachgruppe. Der Rentneranteil war mit 27 vH gegenüber 30 vH der Fachgruppe unterdurchschnittlich ausgewiesen. Die Arzneikosten waren mit 176,47 DM pro Fall um 53 vH höher als bei der Fachgruppe mit 115,31 DM pro Fall; rentnergewichtet betrug die Überhöhung 58 vH. Dabei lag insbesondere in der Versichertenstatusgruppe der Rentner (R) eine Abweichung von plus 104 vH bei den Arzneikosten vor.

Auf Antrag der Beigeladenen vom 02.09.1996 sprach der Prüfungsausschuss mit Bescheid vom 23.07.1998 (Beschluss vom 25.03.1998) einen Arzneimittelregress aus, soweit in der Versichertengruppe R nach Herausrechnen der Hilfsmittelverordnungen der Fachgruppendurchschnitt um mehr als 50 vH überschritten wurde. Da die Ersatzkassen trotz mehrfacher Fristverlängerung die Verordnungsblätter nicht hätten vorlegen können, sei insoweit die Wirtschaftlichkeit nicht überprüft worden; Regressansprüche könnten sie nicht geltend machen. Der Kläger habe im Überprüfungszeitraum Arzneimittel in Höhe von 180.703,06 DM rezeptiert. Die Durchsicht seiner Abrechnungsunterlagen zeige, dass das Leistungsspektrum einer normalen Allgemeinpraxis entspreche. Besonderheiten seien abgesehen von der Betreuung eines Seniorenheimes nicht zu erkennen gewesen. Die vorgefundene Überschreitung werde durch die Überhöhung im Bereich der Rentnerversicherten hervorgerufen. Dabei sei auffällig, dass sich das Klientel in dieser Versichertengruppe auffallend multimorbid mit zum Teil schweren Erkrankungen darstelle, die Versorgung durch den Kläger sehr umfangreich und optimal mit den modernsten Medikamenten erfolge. Insbesondere die Verordnung von kleinen und mittleren Packungsgrößen trage zur Überhöhung bei, ferner hätten sich häufig Kurzintervalle zwischen den Verordnungen auch bei kleinen Packungsgrößen gezeigt.

Den Widers...

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