Leitsatz (amtlich)
1. Auch nach Inkrafttreten der AFuU 1976 ist die Förderung der Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Fortbildung grundsätzlich zweckmäßig und die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu AFG § 36, AFuU 1971 § 8 weiterhin anwendbar.
2. Die arbeitsmarktpolitische Notwendigkeit der Teilnahme an einer Maßnahme der beruflichen Fortbildung ist in den Fällen von AFG § 44 Abs. 2 Nr. 1 und 2 trotz schlechter Arbeitsmarktlage in der angestrebten höheren Berufsstufe schon dann zu bejahen, wenn der andernfalls von längerer Arbeitslosigkeit bedrohte Teilnehmer durch den Erwerb zusätzlicher Kenntnisse und Fertigkeiten und des weiteren beruflichen Abschlusses auf dem Arbeitsmarkt der Facharbeiter-, Gesellen- oder Gehilfenstufe konkurrenzfähiger wird.
Normenkette
AFG § 44 Abs. 2 Fassung 1976-01-01; AFuU §§ 6, 10 Abs. 1 Fassung: 1976-04-01
Verfahrensgang
SG Speyer (Urteil vom 22.06.1978; Aktenzeichen S 2 Ar 3/77) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 22. Juni 1978 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, daß auch der Bescheid des Arbeitsamtes Neunkirchen vom 26. Mai 1978 abgeändert und die Beklagte insoweit ebenfalls zur Gewährung von Unterhaltsgeld nach § 44 Abs. 2 AFG verurteilt wird.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Mit der zugelassenen Berufung streiten die Beteiligten um die Höhe des dem Kläger zustehenden Unterhaltsgeldes (Uhg).
Der 1936 geborene Kläger wurde vom 15. August 1969 bis zum 14. Oktober 1970 im Berufsförderungswerk L. zum Industriekaufmann umgeschult. Anschließend arbeitete er vom 6. November 1970 bis 30. September 1976 als Verwaltungsangestellter (Hilfsarbeiter in der Arbeitsvermittlung) beim Arbeitsamt P.. Das Arbeitsverhältnis wurde durch Aufhebungsvertrag im beiderseitigen Einvernehmen beendet, um der angedrohten einseitigen Kündigung des Arbeitgebers vorzubeugen.
Am 27. September 1976 beantragte der Kläger die nunmehr streitige Forderung seiner Fortbildung zum praktischen Betriebswirt an der Wirtschaftsakademie B. ab 1. Oktober 1976. Er hat diese Maßnahme nach einer krankheitsbedingten Unterbrechung in der Zeit vom 17. Februar bis 9. April 1978 am 6. September 1978 erfolgreich abgeschlossen.
Mit Bescheid vom 4. November 1976, Widerspruchsbescheid vom 8. Dezember 1976 und Wiederbewilligungsbescheid vom 26. Mai 1978 bewilligte das Arbeitsamt Neunkirchen dem Kläger neben den unstreitigen Leistungen nach § 45 des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) lediglich Uhg nach § 44 Abs. 2 a AFG (58 % des fiktiven Nettoentgelts im Sinne von § 112 AFG).
Mit der Klage hat der Kläger geltend gemacht, die angefochtenen Bescheide gingen zu Unrecht und ohne nähere Begründung davon aus, daß die Teilnahme an der streitigen Maßnahme nicht notwendig im Sinne des § 44 Abs. 2 AFG gewesen sei. Bei Antragstellung sei er unmittelbar von Arbeitslosigkeit bedroht gewesen. Er habe sich schon im Juli 1976 als Arbeitsuchender beim Arbeitsamt Pirmasens gemeldet. Damals sei eine große Zahl von Angestellten arbeitslos gewesen. Als Industriekaufmann habe er noch keine praktische Berufserfahrung nachweisen können. Deshalb habe er keinen anderen Arbeitsplatz gefunden und sei in Übereinstimmung mit dem Arbeitsberater des Arbeitsamtes Pirmasens zu dem Ergebnis gekommen, daß er seine berufliche Beweglichkeit durch eine Fortbildungs- oder Umschulungsmaßnahme erweitern müsse, um den Anforderungen der Wirtschaft zu genügen. Der Erfolg der Maßnahme zeige sich u.a. darin, daß er nach ihrem Abschluß bereits mehrere Arbeitsangebote erhalten habe. Wenn die Beklagte sich ihm gegenüber darauf berufe, der Bedarf an Betriebswirten sei bereits gedeckt, messe sie mit zweierlei Maß. Andere Teilnehmer der Maßnahme erhielten das höhere Uhg nach § 44 Abs. 2 AFG.
Mit Urteil vom 22. Juni 1978 hat das Sozialgericht Speyer die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 4. November 1976 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 1976 verurteilt, dem Kläger Uhg nach § 44 Abs. 2 AFG (80 % des Nettoentgelts im Sinne des § 112 AFG) zu gewähren. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen dieses dem Arbeitsamt Neunkirchen am 12. Juli 1978 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Beklagten vom 31. Juli 1978. Sie trägt vor, nach § 44 Abs. 2 AFG in Verbindung mit § 10 Abs. 1 der Anordnung ihres Verwaltungsrats über die individuelle Förderung der beruflichen Fortbildung und Umschulung vom 23. März 1976 (AFuU 76) genüge es für den Anspruch auf das höhere Uhg nicht, daß der Kläger unmittelbar von Arbeitslosigkeit bedroht gewesen und ohne die Teilnahme an der streitigen Maßnahme arbeitslos geworden sei. Weitere Voraussetzung sei vielmehr, daß ihm in absehbarer Zeit kein Arbeitsplatz habe vermittelt werden können, der mindestens einen Berufsabschluß auf der Facharbeiter-Gesellen- oder Gehilfenstufe erfordert hätte. Selbst wenn der Kläger zu Beginn der Maßnahme nicht in absehbarer Zelt...