Entscheidungsstichwort (Thema)
Aufwandsentschädigung. Diäten. Einkommen. ehrenamtliche Tätigkeit. Landtagsfraktion. Politiker. Parlament
Leitsatz (amtlich)
1. Der Abgeordnete des Landtags Rheinland-Pfalz ist Inhaber eines Ehrenamts. Er übt kein zur Hauptbeschäftigung gewordenes Mandat aus. Die ihm zustehende Entschädigung ist keine Vollalimentation zur Sicherstellung seines und seiner Familie Lebensunterhalts.
2. Die Arbeit des Landtagsabgeordneten beschränkt sich nicht auf seine unmittelbare Tätigkeit in den Landtagsorganen (Plenum, Ältestenrat, Ausschüsse). Sie umfaßt auch seine Betätigungen in der Fraktion und im Rahmen ihres ständigen Meinungs- und Willensbildungsprozesses.
3. Nimmt der Abgeordnete an einer auch für Anhänger offenen Parteiveranstaltung als Parlamentarier teil, so ist er unfallversicherungsrechtlich geschützt.
Normenkette
RVO § 539 Abs. 1 Nr. 13; GG Art. 48 Abs. 3 S. 1; Landesverfassung Rheinland-Pfalz Art. 97 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
SG Speyer (Urteil vom 17.04.1975; Aktenzeichen S 2 U 93/74) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 17. April 1975 wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten des Berufungsverfahrens zu erstatten.
Tatbestand
Der 1911 geborene Kläger war seit Mai 1963 Mitglied des Landtags … in M. und stellvertretender Vorsitzender der SPD-Fraktion. Am 27. September 1973 fand eine Plenarsitzung des Landstags statt. Zur Anreise benutzte der Kläger von seinem Wohnort Z. seinen Pkw bis zum Bahnhof in L. Von dort reiste er mit der Bundesbahn bis M. und nahm hier an der Sitzung des Landtags, die um 19.20 Uhr endete, teil. Der Kläger verließ allerdings die Plenarsitzung vorzeitig und kehrte mit der Bundesbahn nach L. zurück. Von dort fuhr er mit seinem Pkw nach N. bei L. Der Ortsverein N. der SPD veranstaltete am 27. September 1973 ab 20.00 Uhr in der Sporthalle in N. eine Versammlung, zu der ursprünglich der Landesvorsitzende der SPD und Vorsitzende der SPD-Fraktion im Landtag … Landtagsabgeordneter W. D. zum Thema „Sozialdemokratische Politik in der Bewährung” sprechen sollte. Da der Fraktionsvorsitzende D. ab der Wahrnehmung des Veranstaltungstermins verhindert war, betraute er hiermit den Kläger. Dieser nahm ab ca. 20.15 Uhr an der Veranstaltung als Referent bis zum Schluß gegen 23.00 Uhr teil. Anschließend fuhr er zurück nach L. und übernachtete dort. Am 28. September 1973 trat er mit seinem Pkw die Heimfahrt nach Z. an. Gegen 9.30 Uhr verunglückte er zwischen Me. und Ri. er geriet ohne Beteiligung anderer Verkehrsteilnehmer mit seinem Pkw nach rechts von der Fahrbahn ab und prallte frontal gegen einen Straßenbaum. Die hierbei erlittenen erheblichen Verletzungen erforderten eine stationäre Krankenhausbehandlung.
Der Direktor beim Landtag … teilte im November 1973 der Beklagten mit, der Kläger habe an der Veranstaltung in seiner Eigenschaft als ein mit einer Funktion – der des stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden – betrauter Landtagsabgeordneter mit einer Aufgabe teilgenommen, die nur von einem Landtagsabgeordneten der SPD-Fraktion hätte wahrgenommen werden können. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22. Februar 1974 die Gewährung von Entschädigungsleistungen mit der Begründung ab, die Heimfahrt des Klägers nach einer nicht dem Landtag … dienenden Parteiveranstaltung habe nicht unter Unfallversicherungsschutz gestanden.
Mit der Klage hat der Kläger vorgetragen: Er habe die dem Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion D. zugedachte Aufgabe als dessen Stellvertreter übernommen. Bei der Veranstaltung sei es vor allem um Fragen der Novellierung des Selbstverwaltungsrechts unter besonderer Berücksichtigung der Auswirkung für die betroffenen Gebiete gegangen. Wesentlicher Teil seiner Aufgabe sei die Anhörung der Versammlungsteilnehmer gewesen, um in den entscheidenden Beratungen der Fraktion deren Stellungnahme berücksichtigen und verwerten zu können. Die Veranstaltung sei daher von ihm nicht als Parteimitglied, sondern als führendem Landtagsabgeordneten der SPD-Fraktion wahrgenommen worden. Die Aufgaben eines Abgeordneten beschränkten sich nicht auf die Teilnahme an Sitzungen des Landtags, seiner Ausschüsse und der Landtagsfraktion. Der stetige Kontakt zur Bevölkerung sei im Rahmen der parlamentarischen Tätigkeit in den Ländern wesentlicher Teil der Aufgaben eines Abgeordneten.
Die vom Sozialgericht Speyer beigeladene Verwaltungs-Berufsgenossenschaft hat sich der Meinung des Klägers angeschlossen. Sie hat vorgetragen, die vom Kläger vorgenommene Vertretung des Vorsitzenden der SPD-Landtagsfraktion an der Veranstaltung werde nur aus seiner Stellung als Landtagsabgeordneter verständlich; der Kläger sei demnach nicht als Beschäftigter der SPD, sondern als ein für das Land … ehrenamtlich Tätiger verunglückt.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung von Auskünften des Vorsitzenden des SPD-Ortsvereins Ne., des Präsidenten des Landtags … und des Vorsitzenden der SPD-Fraktion des Landtags …. Es hat ferner ...