Entscheidungsstichwort (Thema)
Kriegsopferversorgung. Inhaftierung aufgrund politischer Widerstandstätigkeit. unmittelbare Kriegseinwirkung. besondere Gefahr. Zwangsarbeit
Orientierungssatz
1. Kein Anspruch auf Kriegsopferversorgung nach dem BVG, mangels unmittelbarem Zusammenhang mit dem Zweiten Weltkrieg iS des § 5 BVG, wenn die 1942 in Polen erfolgte Inhaftierung nicht aufgrund einer militärischen, sondern einer politischen Widerstandstätigkeit erfolgt ist.
2. Zu den besonderen Gefahren iS des § 5 Abs 1 Buchst d BVG sind nicht nur Gewalttätigkeiten oder Willkür gegen Einzelpersonen, sondern auch allgemeine Maßnahmen der Besatzungsmächte zu rechnen, die die einheimische Bevölkerung ebenso an Leib oder Leben bedrohen und dadurch eine der Besetzung eigentümliche Gefahr schaffen konnten, was insbesondere für die Zustände in Ostpreußen nach 1945 bejaht worden ist.
3. Bei "Zwangsarbeit" handelt es sich nicht um einen nach dem BVG versorgungsrechtlich geschützten Tatbestand, insbesondere nicht um einen militärischen oder militärähnlichen Dienst iSd §§ 2 oder 3 BVG, selbst wenn diese Tätigkeit in einem Rüstungsbetrieb erfolgt ist (vgl BSG vom 8.7.1980 - 9 RV 44/79).
Nachgehend
Tenor
1. Auf die Berufung des Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Speyer vom 23.01.2003 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
3. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Versorgung nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der 1926 in Lodz geborene Kläger besuchte dort als polnischer Staatsangehöriger die Schule. Nach dem Überfall des Deutschen Reiches auf Polen wurde der Kläger von 1940 bis 1943 als Zeitungsausträger der Zeitung “Völkischer Beobachter„ verpflichtet. Von 1943 bis August 1944 war er als Dreher und technischer Zeichner beim Fluggerätewerk L tätig.
Zudem war er nach seinen Angaben seit 1942 aktives Mitglied in der polnischen Heimatarmee (Armia Krajowa).
Nach der Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland beantragte der Kläger im Oktober 1949 Entschädigung, legte eine Bescheinigung über die Zurücklegung von Untersuchungshaft im Polizeigefängnis L vom 19.04.1942 bis 24.05.1943 vor und gab in einer eidesstattlichen Versicherung vom 24.05.1948 an:
“Bei Ausbruch des Krieges im Jahre 1939 war ich als Gymnasiast am in L . Nach Schließung dieses Gymnasiums durch die Deutschen besuchte ich die von Professoren dieses Gymnasiums geheim geführten Kurse. Im Jahre 1941 wurde ich Zeitungsausträger beim Völkischen Beobachter___AMPX_’_SEMIKOLONX___ in L . Gleichzeitig beteiligte ich mich an der Untergrundbewegung. Am 19. April 1942 nachts wurde ich durch die Gestapo wegen angeblicher Beteiligung an der Untergrundbewegung verhaftet. Ich wurde in das Gefängnis in Lodz, Robert-Koch-Straße 16 eingeliefert und dort bis 24. Mai 1943 festgehalten. Meine Angehörigen und die Organisation, welcher ich durch die Untergrundbewegung angehörte, ermöglichten durch Bestechung der Gestapo meine Entlassung am 24. Mai 1943. Anschließend wurde ich bei der Firma Fluggerätewerk in L als Metalldreher arbeitsverpflichtet; dort war ich bis zur Verlagerung dieser Firma nach Deutschland am 24. August 1944 beschäftigt. ….„
Der Antrag des Klägers auf Entschädigung nach dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) wurde mit Bescheiden vom 11.10.1960 und 20.02.1987 abgelehnt. Mit Urkunde vom 25.9.1985 hat der Kläger die deutsche Staatsangehörigkeit erworben.
Im Juli 1997 beantragte der Kläger Beihilfe für Verfolgte und gab an, er sei nach seiner Verhaftung am 19.04.1942 beim Verhör durch die Gestapo derart geschlagen worden, dass die Nase mehrfach gebrochen sei. Den Antrag lehnte das Amt für Wiedergutmachung Saarburg mit Bescheid vom 16.09.1997 ab.
Im Oktober 1999 beantragte der Kläger beim Amt für soziale Angelegenheiten Landau Versorgung nach dem BVG und gab an, er sei während seiner Internierung durch die Gestapo mehrfach gefoltert worden. Er habe überall Blutergüsse gehabt sowie mehrere Nasenbrüche. Nach der Entlassung sei er zwangsweise zum Rüstungsbetrieb “Reichsluftfahrtministerium„ verpflichtet und anschließend in das “F L „ zwangsversetzt worden. Im August 1944 sei er nach B in einen Rüstungsbetrieb in einem ehemaligen Salzbergwerk verlegt worden, wo er durch die Unterernährung auch eine Tbc bekommen habe. Seit dem Kriegsende habe er eine chronische Gastritis, einen Ulcus am Zwölffingerdarm und eine starke Osteoporose. Ergänzend legte er verschiedene Unterlagen vor, darunter ein amtsärztliches Zeugnis des Gesundheitsamtes M vom 18.03.1949, wonach der Kläger erheblich geh- und stehbehindert sei und an starker Krampfaderbildung am linken Bein leide, die ein längeres Gehen stark erschwere. Zusätzlich bestehe ein starkes Untergewicht. Der Kläger sei politisch Verfolgter und es bestehe eine Erwerbsminderung zu 50 v. H.
Mit Bescheid vom 10.11.1999 lehnte das Amt für soziale Angelegenheiten den ...