Entscheidungsstichwort (Thema)

Wegeunfall. Privatunfall. Vorfahrt. Dienstreise Saudi-Arabien. Jordanien. Erkundung

 

Leitsatz (amtlich)

Eine Tätigkeit (hier: erkundende „Vorfahrt” zu einem ca. 200 km entfernten Flughafen in einem arabischen Land zwei Wochen vor dem Rückflug nach Deutschland), deren betriebsbedingte Zweckmäßigkeit nicht zu erörtern und anzuzweifeln wäre, wenn sie der Arbeitgeber selbst angeordnet hätte, kann nicht zu einer unvernünftigen, unvertretbaren, für die gesetzliche Unfallversicherung anspruchsschädlichen dadurch werden, daß sie der Arbeitnehmer auf Grund und im Rahmen einer Ermächtigung des Arbeitgebers beschließt und ausführt.

 

Normenkette

RVO § 539 Abs. 1 Nr. 1, § 548 Abs. 1 S. 1, § 589 Abs. 1; SGB IV Art. I § 1 Abs. 1; SGB IV Art. I § 2 Abs. 1; SGB IV Art. I § 2 Abs. 3 Nr. 1; SGB IV Art. I § 4 Abs. 1

 

Verfahrensgang

SG Mainz (Urteil vom 29.01.1982; Aktenzeichen S 3 U 86/81)

 

Tenor

1. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Mainz vom 29. Januar 1982 wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat der Klägerin auch die im Berufungsverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Mit ihrer Berufung wendet sich die Beklagte dagegen, daß sie dem Grunde nach verurteilt worden ist, der Klägerin Hinterbliebenenentschädigung zu gewahren.

Der am … 1954 geborene K.-E. R. (Versicherter) war seit 26. März 1976 mit der am … 1952 geborenen Klägerin verheiratet. Aufgrund Anstellungsvertrages vom 1. Oktober 1980 mit der Niederlassung M. Straße 75 in W. der Konstruktionsbüro R. GmbH in T. begab er sich im gleichen Monat als technischer Zeichner zur Baustelle D. der P. H. Aktiengesellschaft bei T. im Norden Saudi-Arabiens. Dort sollte er einige Monate bis zur Fertigstellung der von der Firma H. erwarteten Bauzeichnungen bleiben. In einem Schreiben vom 15. Oktober 1980 „beauftragte” sein Arbeitgeber – mit der ausdrücklichen Begründung, daß außer ihm keine weitere Person für die R. GmbH in Saudi-Arabien beschäftigt sein werde – den Versicherten, „alle in Frage kommenden organisatorischen Angelegenheiten, welche mit dem Auftrag in Zusammenhang stehen, z.B. Einholung von Informationen über die Durchführung des Auftrages, der Unterkunft, der Rückreise; die Überwachung des Fertigstellungstermins usw., selbst zu erledigen”. Am 9. Februar 1981 kaufte der Versicherte beim Alia-Büro in T. seinen Rückflugschein für 8.15 Uhr am Sonnabend des … 1981 von Al Akaba im Süden Jordaniens über Amman nach Frankfurt/Main.

Mit einem ihm geliehenen Personenkraftwagen der Firma H. – die ihm auch ein dort notwendiges Ausreise- und Wiedereinreise-Visum besorgt hatte (Fernschreiben VA Bl. 9) – begab er sich am Freitagnachmittag des … 1981 auf eine Fahrt nach Al Akaba. Ungefähr 2 km der saudisch-jordanischen Grenze bei Al Durrah schleuderte er mit dem Wagen gegen den Anfang einer Leitplanke. Er wurde dabei an schwer verletzt, daß er noch an der Unfallstelle zwischen 18.00 und 19.00 Uhr starb.

Die Beklagte zog Unterlagen bei, darunter eine interne Mitteilung der Firma H. an die Firma R.. Darin wird ausgeführt, der versicherte sei auf einer privaten Wochenendfahrt verunglückt. Durch Bescheid vom 5. Mai 1981 lehnte die Beklagte Entschädigungsleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung ab: Nach Mitteilung der Baustellenverwaltung in Tabuk habe sich der Versicherte auf einer privaten Wochenendreise befunden. Ein dienstliches Interesse an der Reise habe nicht vorgelegen.

Auf die am 29. Mai 1981 eingegangene Klage hat das Sozialgericht Mainz u.a. über die Niederlassung der P. R. AG in E. eine schriftliche Auskunft vom 15. Oktober 1981 des Zeugen M. L. eingeholt, der ursprünglich nach Al Akaba hatte mitfahren wollen. Dieser Zeuge gibt an, daß der Versicherte nach Al Akaba gefahren sei, „um Übernachtungsmöglichkeiten zu prüfen sowie sich über den Rückflug nach Deutschland zu informieren”. Durch Urteil vom 29. Januar 1982 hat das Sozialgericht Mainz die Beklagte dem Grunde nach verurteilt, der Klägerin Hinterbliebenenentschädigung zu gewähren: Zwischen dem Beschäftigungsverhältnis der Firma R. mit dem Versicherten und dessen Fahrt nach Al Akaba habe ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang bestanden. Den Briefen des Versicherten vom 2. und 9. Februar 1981 an die Klägerin sei zu entnehmen, daß er eine Übernachtungsmöglichkeit in Akaba, wohin er am Tage vor seinem Abflug nach Deutschland mit einem Taxi zu fahren beabsichtigte, suchen wollte. Dafür spreche auch die Erklärung des Zeugen L. vom 15. Oktober 1981. Daher habe die Fahrt nach Al Akaba zumindest als eine „gemischte Tätigkeit” unter gesetzlichen Versicherungsschutz gestanden.

Gegen das am 23. Februar zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am 4. März 1982 beim Landessozialgericht eingegangen Berufung: Ihr erscheine ungewöhnlich, eine Fahrt von insgesamt 600 km wegen des Erkundens einer Übernachtungsmöglichkeit in Jordanien zurückzulegen. Sie bezweifele, daß ein solcher Aufwand notwendig war. Das Sozialgericht hatte pr...

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