Leitsatz (amtlich)

Die Kandidatenzeit eines Binnenlotsen als Voraussetzung für die Erteilung des Lotsenpatents ist keine Lehrzeit iS des AVG § 36 Abs 1 Nr 4 Buchst a (= RVO § 1259 Abs 1 Nr 4 Buchst a).

 

Verfahrensgang

SG Koblenz (Urteil vom 09.04.1976; Aktenzeichen 3 A 199/75)

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 07.09.1977; Aktenzeichen 11 RA 76/76)

 

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 9. April 1976 wird zurückgewiesen.

2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der im … 1917 geborene Kläger ist seit 1. Januar 1947 selbständiger Binnenlotse; das Lotsenpatent hatte er am 17. Dezember 1946 nach knapp 5-monatigem Besuch der Städtischen Stromschifferschule in D.-R. und kriegsbedingt abgekürzter Kandidatenzeit von insgesamt etwa 7 Monaten erworben.

Mit Schreiben vom 22. Februar 1974 beantragte der Kläger, die Zeiten des Besuches der Schifferschule und der praktischen Ausbildung zum Lotsen als Ausfallzeiten vorzumerken. Durch Bescheid vom 2. Oktober 1974 erkannte die Beklagte die Zeiten des Besuches der Schifferschule vom 7. Januar 1937 bis zum 17. März 1937 und vom 14. Oktober 1937 bis zum 23. Dezember 1937 als für die gesetzliche Rentenversicherung rechtserhebliche Ausfallzeiten an. Die Anerkennung der Lotsenkandidatenzeit vom 5. Januar 1938 bis zum 1. April 1938 und vom 8. August 1946 bis zum 17. Dezember 1946 als Ausfallzeit lehnte die Beklagte ab, da diese keine Ausbildungszeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a des Angestelltenversicherungsgesetzes (AVG) darstelle.

Bezugnehmend auf eine Stellungnahme des Justitiars Dr. K. der Mittelrheinischen Lotsenvereinigung in K. vom 25. Januar 1974 machte der Kläger mit seinem Widerspruch vom 12. Oktober 1974 geltend, bei der Lotsenkandidatenzeit handele es sich um eine echte Lehrzeit, die unter Aufsicht des Lotsenlehrmeisters absolviert werde.

Die Beklagte holte Auskünfte des Wasser- und Schiffahrtsamtes Singen vom 17. Januar 1975 und der Mittelrheinischen Lotsenvereinigung in K. vom 19. April 1975 über die Ausgestaltung der Lotsenkandidatenzeit ein. Im Anschluß daran wies sie durch Widerspruchsbescheid vom 25. Juli 1975 den Widerspruch zurück mit der Begründung: Während der Zeit als Lotsenkandidat habe der Kläger in keinem echten Lehrverhältnis gestanden. Die Lotsenkandidatenzeit sei vielmehr mit einem Berufspraktikum vergleichbar. Sie diene der Unterweisung in den speziellen Aufgaben des Lotsen unter Verwertung der in der Berufsausbildung als Schiffsführer erworbenen Kenntnisse. Die Kandidatenzeit des Lotsen erfülle einen ähnlichen Zweck wie der Vorbereitungsdienst des Referendars, der nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) keine Lehrzeit im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 4 a AVG darstelle.

Gegen diese ablehnende Entscheidung hat der Kläger am 13. August 1975 beim Sozialgericht (SG) Koblenz Klage erhoben. Er hat vorgetragen: Zwischen Lotse und Kandidat bestehe ein echtes über- und Unterordnungsverhältnis. Das Ausbildungsverhältnis beruhe auf öffentlichem Auftrag durch das Lotsenregulativ. Da er kein Schifferpatent erworben habe, könne jedenfalls bei ihm nicht von einem Berufspraktikum gesprochen werden. Im übrigen besage die Dauer der Lehrzeit nichts über den Lehrinhalt.

Das SG Koblenz hat ergänzende Auskünfte der Mittelrheinischen Lotsenvereinigung in K. vom 14. September 1975 und des Wasser- und Schiffahrtsamtes Bingen vom 22. September 1975 über die Dauer der Lotsenkandidatenzeit eingeholt. Durch Urteil vom 9. April 1976 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat sich auf den Standpunkt gestellt, die Kandidatenzeit des Lotsen stehe nicht einer Lehrzeit gleich, da sie viel zu kurz sei, um die einer Lehre entsprechende Ausbildung zu vermitteln, ihr Schwerpunkt im Praktischen liege und sie im Übrigen auch nicht der Ausbildung für einen bestimmten Lehr- oder Anlernberuf diene; sie sei eher mit einer Praktikantenzeit zu vergleichen.

Gegen das ihm am 5. Mai 1976 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Eingang beim SG Koblenz am 25. Mai 1976 Berufung eingelegt.

Er wiederholt sein früheres Vorbringen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 9. April 1976 und den Bescheid vom 2. Oktober 1974 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. Juli 1975 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger die Lotsenkandidatenzeit vom 5. Januar 1938 bis zum 1. April 1938 und vom 8. August 1946 bis zum 17. Dezember 1946 als Ausfallzeit anzuerkennen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und Beklagtenakten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig. Sie ist generell statthaft, nicht ausnahmsweise ausgeschlossen sowie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143 ff. des Sozialgerichtsgesetzes – SOG –).

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das erstinstanzliche Ur...

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