Verfahrensgang

SG Trier (Urteil vom 11.01.1995; Aktenzeichen S 5 Ar 121/94)

 

Tenor

1. Das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 11.1.1995 und der Bescheid der Beklagten vom 30.3.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.5.1994 werden aufgehoben.

2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.

3. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Umstritten ist, ob die Beklagte den dem Kläger Arbeitslosenhilfe (Alhi) bewilligenden Bescheid vom 28.10.1993 ab dem 1.4.1994 wegen Gesetzesänderung aufheben durfte.

Der 1936 geborene Kläger bezog bis Mai 1988 Hilfeleistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz, war vom 1.5.1988 bis 30.9.1988 (= 153 Kalendertage) als Lagerarbeiter beitragspflichtig beschäftigt, und erhielt anschließend bis zum 31.1.1989 von der Barmer Ersatzkasse Krankengeld.

Die Beklagte bewilligte dem Kläger ab dem 1.2.1989 originäre Alhi gemäß § 134 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchstabe b Arbeitsförderungsgesetz (AFG) zunächst bis zum 30.9.1989, dann jeweils für ein Jahr, zuletzt durch Bescheid vom 28.10.1993 bis zum 30.9.1994 nach einem gerundeten Bruttoarbeitsentgelt von 680,– DM wöchentlich unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe A. Die Alhi betrug ab dem 1.1.1994 252,60 DM wöchentlich.

Durch Bescheid vom 30.3.1994, dem Kläger zugestellt am 14.4.1994, befristete die Beklagte die Bewilligung von Alhi bis zum 31.3.1994. Als Begründung nannte sie, durch das Erste Gesetz zur Umsetzung des Spar-, Konsolidierungs- und Wachstumsprogrammes (1. SKWPG) sei die Dauer des Anspruchs auf originäre Alhi auf längstens 312 Tage begrenzt. Diese Anspruchsdauer habe der Kläger ausgeschöpft, so daß ein Anspruch auf Alhi nach dem 31.3.1994 nicht mehr gegeben sei.

Nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren (Widerspruchsbescheid vom 9.5.1994), hat der Kläger sein Begehren, ihm über den 31.3.1994 hinaus Alhi zu gewähren, im Klagewege weiterverfolgt. Das Sozialgericht (SG) Trier hat die fristgerecht erhobene Klage durch Urteil vom 11.1.1995 abgewiesen und ausgeführt, aufgrund des § 135 a AFG in der ab 1.1.1994 geltenden Fassung in Verbindung mit § 242 q Abs. 10 AFG habe der Kläger keinen Anspruch auf Gewährung von Alhi über den 31.3.1994 hinaus. Diese Gesetzesänderung sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Gegen das ihm am 20.1.1995 zugestellte Urteil hat der Kläger am 14.2.1995 Berufung eingelegt.

Er ist der Ansicht, die Gesetzesänderung sei verfassungswidrig. Zumindest sei ihm Alhi bis zum 13.4.1994 zu gewähren, da er von der befristeten Bewilligung erst am 14.4.1994 erfahren habe und daher erst ab diesem Zeitpunkt Sozialhilfe habe beantragen können, die er seitdem beziehe.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Trier vom 11.1.1995 und den „Bescheid” der Beklagten vom 30.3.1994 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.5.1994 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

vorsorglich,

die Revision zuzulassen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Leistungsakte der Beklagten, Stamm-Nr.: … und die Prozeßakte Bezug genommen; ihr wesentlicher Inhalt war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Die Beteiligten streiten darum, ob dem Kläger noch Alhi für die Zeit vom 1.4. bis 30.9.1994 zusteht. Der für die Zulässigkeit der Berufung erforderliche Beschwerdewert ist damit überschritten.

Die Berufung ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten, ist entgegen der Auffassung des SG rechtswidrig, da hierfür keine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage gegeben ist. Insbesondere ist die Beklagte nicht befugt gewesen, die Bewilligung der Alhi vom 28.10.1993 wegen Änderung der Verhältnisse ab 1.4.1994 nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) aufzuheben.

Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlaß vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Unter den in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X normierten Voraussetzungen kann auch eine rückwirkende Aufhebung erfolgen.

Die Bewilligung vom 28.10.1993, auf die sich der angefochtene Bescheid bezieht, ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Die rechtlichen Verhältnisse, die bei dessen Erlaß vorgelegen haben, haben sich zwar insofern geändert, als der bisher unbefristete Anspruch auf Alhi durch das 1. SKWPG vom 23.12.1993 auf eine Dauer von 312 Tagen beschränkt wurde. Diese Befristung wirkt sich auf den Alhi-Anspruch des Klägers jedoch erst 312 Tage nach dem 31.3.1994 aus. Insofern war die Rechtsänderung noch nicht mit Wirkung ab dem 1.4.1994 in dem Sinne wesentlich, daß bereits zu diesem Zeitpunkt der Anspruch des Klägers auf Alhi materiell-rechtlich entfiel. Das ergibt sich aus § 135 a AFG i.V.m. § 242 q Abs. 10 Nr. 2 AFG.

Durch Art. 1 Nr. 42 des 1. SKWPG wurde mit Wirkung ab dem 1.1.1994 ...

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