Leitsatz (amtlich)
Bei Kindern, die infolge eines Spina bifida-Syndroms querschnittsgelähmt sind und deshalb zeitlebens nicht trocken und sauber werden können, sind auch Windeln sowie Creme, Puder, Öl und Badezusätze als Heilmittel anzusehen, da sie bezüglich der Sekundärerkrankungen teils zur Heilung, teils zur Sicherung des Heilerfolgs erforderlich, ausreichend und zweckmäßig sind.
Verfahrensgang
SG Koblenz (Urteil vom 20.10.1976; Aktenzeichen S 2 K 43/76) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 20. Oktober 1976 und der Bescheid der Beklagten vom 15. April 1976 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 1976 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, die Kosten für ärztlich verordnete Mittel wie Windeln, Creme, Öl und Puder, die ab 1. Januar 1977 zur Behandlung des Kindes P. G. erforderlich sind, voll zu übernehmen.
2. Die Beklagte hat dem Kläger die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger ist Mitglied der Beklagten. Seine im … 1974 geborene Tochter P. ist von Geburt an querschnittsgelähmt. Aufgrund einer Lähmung der Blase und des Darms treten ständig Urin und Stuhl aus. Der behandelnde Kinderarzt Dr. B. in K. verordnete deshalb u.a. auch Windeln, Öl, Creme und Puder. Nach Rücksprache mit ihm sagte die Beklagte eine 50 %-ige Beteiligung an den Kosten für die Beschaffung der Windeln zu.
Mit Schreiben vom 28. März 1976 beantragte der Kläger, die Kosten für Windeln und andere Hilfsmittel voll zu übernehmen, wie es auch bei anderen Krankenkassen üblich sei. Diesen Antrag lehnte die Beklagte durch Bescheid vom 15. April 1976 ab. Sie berief sich auf die Vorschrift des Reichsversicherungsordnung – RVO – § 182 Abs. 2, wonach die Krankenpflege ausreichend und zweckmäßig sein muß, jedoch das Maß des Notwendigen nicht überschreiten darf. Der Kläger erhob gegen diese Entscheidung Widerspruch mit der Begründung, ein Wundsein sei nur durch Wechseln der Windeln sowie die Verwendung von Öl, Creme und Puder zu vermeiden, da noch kein künstlicher Ausgang geschaffen werden könne. Die Widerspruchsstelle der Beklagten wies den Widerspruch durch Bescheid vom 20. Mai 1976 zurück. Sie meinte, es handele sich hier nicht um Heilmittel, sondern um Artikel, deren Beschaffung in den Bereich der eigenverantwortlichen Gesundheitsfürsorge falle.
Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Kläger am 8. Juni 1976 beim Sozialgericht – SG – Koblenz Klage erhoben. Er hat die Auffassung vertreten, nach Rehabilitationsangleichungsgesetz § 10 umfaßten medizinische Leistungen alle Hilfen, insbesondere Arznei- und Verbandmittel, die erforderlich seien, um einer drehenden Behinderung vorzubeugen, eine Behinderung zu beseitigen, sie zu bessern oder eine Verschlimmerung zu verhüten. Die Beklagte hat ausgeführt, nach wie vor seinen unter Hilfsmitten solche sächlichen Mitteln zu verstehen, die zur Erkennung, Beseitigung oder Linderung einer Krankheit oder der Sicherung des Heilerfolges dienten.
Durch Urteil vom 20. Oktober 1976 hat das SG die Klage abgewiesen. Es hat sich auf den Standpunkt gestellt, die Beklagte habe die beantragten leistungen nicht zu erbringen, weil Windeln, Creme, Öl und Puder nicht als medizinische Verband- und Heilmittel, sondern als gesundheitsfördernde Pflegemittel anzusehen seien.
Gegen dieses ihm am 11. November 1976 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Eingang beim SG Koblenz am 3. Dezember 1976 Berufung eingelegt.
Sein früheres Vorbringen ergänzend, trägt er vor: Das SG habe versäumt, einen Sachverständigen zu hören. Die kinderärztlich verordneten Mittel seien ausschließlich zur Krankheitsbekämpfung erforderlich gewesen. Nur durch ihre Verwendung könnten die Beschwerden des Kindes gelindert, das Wundsein beseitigt werden.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des SG Koblenz vom 20. Oktober 1976 sowie den Bescheid vom 15. April 1976 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24. Mai 1976 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für ärztlich verordnete Mittel, wie Windeln, Creme, Öl und Puder ab 1. Januar 1977 voll zu Übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Der Kläger hat eine Stellungnahme des Kinderfacharztäs Dr. B. in Koblenz vom 1. Dezember 1976 vorgelegt. Dieser legt dar: Die Tochter des Klägers habe mit drei Jahren daß Alter erreicht, in dem Kinder im Durchschnitt trocken und sauber würden, was bei ihr aber zeitlebens nicht eintreten werde. Dadurch komme es zu einer ehrenischen Perianogenitaldermatitis, die der ständigen Behandlung durch Salbe oder Creme, Bäderzusatz, Puder und Öl bedürfe. Die neurogene Blesenlähmung habe außerdem eine chronische Harnwegsinfektion und sogar den Rückfluß des Urins von der Blase zur Niere zur Folge. Die Beherrschung der Harnwegsinfektionen und die Verhinderung von Reinfektionen seien unmittelbar lebenserhaltend. Die sorgfältige Sauberhaltung des Vulva-, Harnröhren- und Blasenbereichs sei für die Sicherung eines medikamentös erzi...