Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Unzulässigkeit der Untätigkeitsbeschwerde. Abschluss des Hauptsacheverfahrens. noch offene Nebenentscheidung
Leitsatz (amtlich)
Für eine nicht kodifizierte Untätigkeitsbeschwerde ist nach Inkrafttreten des § 198 GVG aufgrund des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlanger Verfahrensdauer vom 24.11.2011 (BGBl I S 2302) kein Raum mehr. Dies gilt auch bezogen auf nach Abschluss des Verfahrens in der Hauptsache noch offene Nebenentscheidungen, selbst wenn insoweit § 198 GVG nicht anwendbar sein sollte.
Tenor
Die Untätigkeitsbeschwerde wird als unzulässig verworfen.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.Die Kläger erstreben eine Verpflichtung des Sozialgerichts H. bzw. des zuständigen Kammervorsitzenden, in vier Verfahren (S 27 AS 5303/11, S 27 AS 5304/11, S 27 AS 5305/11 und S 27 AS 5306/11) jeweils eine Kostengrundentscheidung zu treffen.
Bei den vier genannten Verfahren handelt es sich um in der Hauptsache erledigte Untätigkeitsklagen gegen den Träger der Grundsicherungsleistungen. Nach Erlass der begehrten Widerspruchsentscheidungen und der damit eingetretenen Erledigungen in den Hauptsachen erklärte sich der beklagte Leistungsträger jeweils nur teilweise zur Kostenübernahme dem Grunde nach bereit. Die Kläger stellten sodann jeweils mit Schriftsätzen vom 13. Januar 2012 Anträge auf Kostengrundentscheidungen durch das Gericht. Die Kostengrundentscheidungen sind bisher - trotz mehrerer Nachfragen bzw. Erinnerungen an das Gericht - nicht ergangen.
Mit am 23. August 2012 beim Landessozialgericht eingegangenem Schriftsatz hat der Prozessbevollmächtigte der Kläger eine gegen das Sozialgericht H. gerichtete "Untätigkeitsbeschwerde" erhoben und zur Begründung vorgetragen: Zwar sei umstritten, ob eine nicht im Gesetz geregelte Untätigkeitsbeschwerde statthaft sei. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) habe bei überlanger Verfahrensdauer aber schon mehrfach einen Verstoß gegen Artikel 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) angenommen und ein darauf beruhendes Recht auf einen Rechtsbehelf bejaht. Von dem Rechtsbehelf werde mit der Untätigkeitsbeschwerde unter Berufung auf Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 des Grundgesetzes (GG) Gebrauch gemacht.
Der Prozessbevollmächtigte der Kläger beantragt für diese sinngemäß, das Sozialgericht H bzw. den dort zuständigen Kammervorsitzenden zu verpflichten, über die Anträge auf Kostengrundentscheidung in den Verfahren S 27 AS 5303/11, S 27 AS 5304/11, S 27 AS 5305/11 und S 27 AS 5306/11 nunmehr ohne weitere Verzögerungen zu entscheiden.
Der Direktor des Sozialgerichts H. nahm mit Schreiben vom 13. Januar 2012 zu der Beschwerde Stellung und führte aus: Dem Rechtsanwalt der Beschwerdeführer sei mit Datum vom 27. August 2012 mitgeteilt worden, dass eine Kostengrundentscheidung in den nächsten Monaten beabsichtigt sei. Die erhobene Untätigkeitsbeschwerde sei als unzulässig zu verwerfen. Eine Untätigkeitsbeschwerde sei mit Einführung der sogenannten Verzögerungsrüge nach § 198 Abs. 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) nicht mehr statthaft. Weder der Direktor noch das Präsidium des Sozialgerichts könnten dem für das Verfahren zuständigen Kammervorsitzenden Weisungen erteilen.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vorbringen wird auf die Beschwerdeakte Bezug genommen.
II. Die für die Kläger erhobene Untätigkeitsbeschwerde ist unzulässig.
Eine Untätigkeitsbeschwerde ist weder in der für die Sozialgerichte maßgeblichen Verfahrensordnungen im Sozialgerichtsgesetz (SGG) noch in den anderen Verfahrensordnungen für die Gerichtsbarkeiten vorgesehen. Das Bundessozialgericht (BSG) hat daraus überzeugend den Schluss gezogen, dass ein solcher nicht in der geschriebenen Rechtsordnung geregelter und von seinen Voraussetzungen und Rechtsfolgen her nicht bestimmter Rechtsbehelf nicht statthaft sei (BSG, Beschluss vom 21. Mai 2007, B 1 KR 4/07 S, zitiert nach juris). Dabei hat das BSG ausdrücklich auf die Rechtsprechung des EGMR, wonach eine richterrechtlich begründete außerordentliche Untätigkeitsbeschwerde kein wirksamer Rechtsbehelf gegen eine überlange Verfahrensdauer sei (vgl. EGMR, Große Kammer, Urteil vom 8. Juni 2006, 75529/01, hier zitiert nach juris), Bezug genommen. In den Gründen der zitierten Entscheidung hat der EGMR die Bundesrepublik Deutschland "ermutigt", schnell einen vorliegenden Gesetzesentwurf zu verabschieden, um einen darin vorgesehenen Rechtsbehelf gegen überlange Verfahrensdauer im positiven Recht zu verankern. Die Einführung eines solches Rechtsbehelfs ist nun durch das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302) erfolgt. Durch dieses Gesetz ist mit Wirkung vom 3. Dezember 2011 der neue § 198 in das Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) eingefügt worden. Darin werden die Voraussetzungen für die Entschädigung geregelt, die diejenigen erhalten können, die als Verfahrensbeteiligte infolge der unangemessenen Dauer eines Gerich...