Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsweg. Entschädigungsklage wegen überlanger Verfahrensdauer. verbindliche Verweisung des Ausgangsverfahrens an ordentliche Gerichtsbarkeit. Verweisung der Klage und des gleichzeitig gestellten Prozesskostenhilfeantrags vor Rechtshängigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ist das Ausgangsverfahren von einem Sozialgericht verbindlich an ein Gericht der ordentlichen Gerichtsbarkeit verwiesen worden, so ist auch für den Entschädigungsanspruch die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit gegeben.

2. Das zunächst angegangene Entschädigungsgericht kann vor Rechtshängigkeit der Klage diese und den gleichzeitig gestellten PKH-Antrag an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs verweisen.

 

Tenor

Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist unzulässig.

Der Rechtsstreit wird an das Oberlandesgericht Naumburg verwiesen.

 

Gründe

I.

Der Kläger begehrt eine Entschädigung wegen der Dauer eines gerichtlichen Verfahrens. Er hatte im Mai 2015 vor dem Sozialgericht (SG) Magdeburg Klage erhoben und beantragt, die beklagte Krankenkasse unter Aufhebung eines entgegenstehenden Bescheids zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 30. Januar bis 23. Februar 2015 Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren. Im Januar 2018 hat er eine Verzögerungsrüge erhoben. Nach Durchführung eines Erörterungstermins hat die Kammervorsitzende ihn im März 2018 darauf hingewiesen, dass sein Krankengeldanspruch erschöpft sei und dass sein Begehren im Ergebnis in einen Schadensersatzanspruch münde, für den das Landgericht (LG) zuständig sei. Der Kläger hat daraufhin erklärt, er wünsche eine Verweisung an das LG, um eine Schadensersatzforderung geltend zu machen. Mit Beschluss vom 1. Juni 2018 hat das SG sich für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das LG Magdeburg verwiesen. Der Kläger habe nach mehrmaligem gerichtlichen Hinweis sein Klagevorbringen dahingehend konkretisiert, dass er Schadensersatz begehre, und um Verweisung an das LG ersucht. Die Prüfung eines Amtshaftungsanspruchs sei den ordentlichen Gerichten vorbehalten.

Am 17. Dezember 2018 hat der Kläger beim Landessozialgericht (LSG) Sachsen-Anhalt eine Entschädigungsklage erhoben, weil der beim SG begonnene und derzeit beim LG anhängige Rechtsstreit unangemessen lange dauere. Für das Klageverfahren hat er Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt. Die Klage ist bislang nicht zugestellt worden.

Die Berichterstatterin hat die Beteiligten wegen der beabsichtigten Verweisung des Rechtsstreits an das Oberlandesgericht (OLG) Naumburg angehört. Die Beteiligten haben einer Verweisung widersprochen. Insoweit meint der Beklagte, es sei zwar der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten gegeben; einer Verweisung stehe aber die fehlende Rechtshängigkeit der Klage entgegen. Das PKH-Gesuch sei wegen der fehlenden Rechtswegzuständigkeit abzulehnen.

II.

Der Rechtsstreit ist gemäß § 202 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) an das OLG Naumburg zu verweisen, weil nicht der vom Kläger beschrittene Rechtsweg zu den Sozialgerichten, sondern der ordentliche Rechtsweg eröffnet ist.

Für eine Klage auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer gegen ein Land ist gemäß § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG das OLG zuständig. Diese Regelung enthält eine Rechtswegzuweisung an die ordentliche Gerichtsbarkeit (vgl. Mayer, in: Kissel/Mayer, GVG, 9. Auflage 2018, § 201 Rn. 1). Davon abweichend sieht § 202 Satz 2 SGG zwar die Zuständigkeit des LSG vor. Dies gilt aber nur in den der Sozialgerichtsbarkeit gemäß § 51 SGG zugewiesenen Angelegenheiten (vgl. Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 3. September 2014 - B 10 ÜG 12/13 R -, juris Rn. 17). Für das hier in Rede stehende Ausgangsverfahren ist jedoch durch den Verweisungsbeschluss vom 1. Juni 2018 verbindlich geklärt, dass nicht der Rechtsweg zu den Sozialgerichten, sondern der zu den ordentlichen Gerichten eröffnet ist (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG). Damit sind diese auch für den geltend gemachten Entschädigungsanspruch zuständig.

Dem steht nicht entgegen, dass der Kläger vor allem eine Verzögerung während der Anhängigkeit des Ausgangsverfahrens beim SG geltend macht. Den differenzierenden Zuständigkeitsregelungen in § 201 Abs. 1 Satz 1 GVG und den Verweisungsnormen der übrigen Prozessordnungen, die eine Entschädigungszuständigkeit der jeweils betroffenen Gerichtsbarkeit vorsehen, liegt zwar der Gedanke zugrunde, dass jede Gerichtsbarkeit selbst am besten beurteilen könne, welche Verfahrensdauer in ihrem Bereich angemessen ist (vgl. BT-Drs. 17/3802, S. 25). Das ändert allerdings nichts daran, dass es sich bei dem geltend gemachten Entschädigungsanspruch um einen einheitlichen Anspruch gegen das beklagte Land handelt, der sich nicht in selbständige Ansprüche für die Verfahrensabschnitte in der Sozialgerichtsbarkeit und die in der ordentlichen Gerichtsbarkeit aufteilen lässt. Bezugspunkt des Entschädigungsanspruchs ist das gesamte Verfahren, s...

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