Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. Freizügigkeitsrecht. anderes Aufenthaltsrecht. abgeleitetes Aufenthaltsrecht der sorgerechtsausübenden Eltern eines Kindes in Schulausbildung nach Art 10 EUV 492/2011. Aufenthaltsrecht des Geschwisterkindes aus familiären Gründen. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
Leitet sich über Art 10 VO (EU) Nr 492/2011 ein Aufenthaltrecht des Kindes und seiner Eltern durch den fortdauernden Schulbesuch des Kindes auch nach Beendigung der Arbeitnehmertätigkeit des Elternteils ab, so steht auch einem Geschwisterkind ein Aufenthaltsrecht aus familiären Gründen zu.
Orientierungssatz
Zu den Voraussetzungen, unter denen eine Tätigkeit als Tagelöhner in der Bauwirtschaft zur gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsberechtigung als Arbeitnehmer führt.
Normenkette
VO (EU) Nr 492/2011 Art. 10; SGB II § 7 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nrn. 1-2, § 41 Abs. 1; FreizügG/EU § 2 Abs. 1; FreizügG/EU § 2 Abs. 2 Nrn. 1-2, Abs. 3 S. 2, § 3 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Nr. 1, § 11 Abs. 1 S. 11; GG Art. 6, 19 Abs. 4 S. 1; SGG § 86b Abs. 2 Sätze 2, 4; ZPO § 920 Abs. 2
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 22. Januar 2016 wird abgeändert.
Der Antragsgegner wird vorläufig, längstens aber bis zu einer bestands- oder rechtskräftigen Entscheidung über den Leistungsantrag, verpflichtet, den Antragstellern Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes für den Zeitraum vom 14. bis 31. Dezember 2015 für die Antragsteller zu 1. und 2. in Höhe von jeweils 259,50 EUR, für den Antragsteller zu 3. in Höhe von 203,70 EUR und für die Antragstellerin zu 4. in Höhe von 183,90 EUR und für den Zeitraum 1. Januar bis 29. Februar 2016 für die Antragsteller zu 1. und 2. in Höhe von monatlich 436,50 EUR, für den Antragsteller zu 3. in Höhe von monatlich 342,50 EUR und für die Antragstellerin zu 4. in Höhe von monatlich 309,50 EUR zu zahlen.
Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes darüber, ob den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) vom 14. Dezember 2015 bis zum 29. Februar 2016 zu zahlen sind.
Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige. Nach ihrem Vortrag sind sie im Mai 2015 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Der am … Juli 1988 geborene Antragsteller zu 1. ist seit Juni 2014 mit der am … Januar 1990 geborenen Antragstellerin zu 2. verheiratet. Die Eheleute haben zwei gemeinsame Kinder, den am … Februar 2007 geborenen Antragsteller zu 3. und die am …. Dezember 2011 geborenen Antragstellerin zu 4. Der Antragsteller zu 3. besucht seit Beginn des Schuljahres 2015/2016 die Grundschule. Für die Antragsteller zu 3. und 4. ist Kindergeld beantragt.
Am 18. September 2015 stellten die Antragsteller einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes bei dem Antragsgegner. Sie gaben an, ab dem 1. September 2015 zur Untermiete bei C. (dem Bruder der Antragstellerin zu 2.) und L. S. in der Straße des F ... in M. zu wohnen. Der Vermieter des Ehepaares S. bestätigte die Vereinbarung eines Untermietverhältnisses. Im Hauptmietvertrag ist eine monatliche Miete von 400 EUR und 180 EUR Betriebskosten vereinbart. Bei der Meldebehörde meldeten sich die Antragsteller zum 24. Juli 2015 rückwirkend zum 1. Mai 2015 unter dieser Anschrift an.
Der Antragsteller zu 1. hat ein selbständiges Gewerbe angemeldet: "Bauhelfer, Trockenbau". Er gab an, von Mai bis September 2015 hieraus 770 EUR (durchschnittlich 154 EUR mtl.) hieraus zu erzielen. Die Antragstellerin zu 2. erzielt keine Einkünfte.
Mit Bescheid vom 10. November 2015 lehnte der Antragsgegner Leistungen nach dem SGB II ab: Anhand der eingereichten Unterlagen könne nur von einer völlig untergeordneten Tätigkeit gesprochen werden. Aus der Selbständigkeit ergebe sich daher kein Freizügigkeitsrecht, weshalb der Antrag nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II abzulehnen sei.
Hiergegen legten die Antragsteller am 4. Dezember 2015 Widerspruch ein.
Am 14. Dezember 2015 haben die Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Anordnung durch das Sozialgericht Halle (SG) beantragt. Sie haben vorgetragen: Entgegen der Auffassung des Antragsgegners handele es sich bei der Tätigkeit des Antragstellers zu 1. nicht nur um eine untergeordnete Tätigkeit, es müsse berücksichtigt werden, dass diese erst im Mai 2015 begonnen wurde. Von den gesamten Wohnkosten entfielen 290 EUR auf die Antragsteller.
Mit Widerspruchsbescheid vom 28. Dezember 2015 wies der Antragsgegner den Widerspruch der Antragsteller über die Ablehnung von Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. September 2015 bis zum 29. Februar 2016 als unbegründet zurück: Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Antragsteller zu 1. selbständig erwerbstätig sei. Es fehle eine auf Gewinnerz...