Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Verpflichtung zur Inanspruchnahme vorrangiger Leistungen. Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente. Ermessensausübung. Höhe der geminderten Altersrente im Vergleich zur Regelaltersrente. Unbilligkeit. keine Verpflichtung zur Prüfung eines ergänzenden Sozialhilfeanspruchs

 

Leitsatz (amtlich)

Für die Ermessensentscheidung des Leistungsträgers gem § 12a SGB 2 genügt zunächst die Ermittlung der durch vorzeitige Inanspruchnahme geminderten Altersrente und der Regelaltersrente. Zusätzlich muss der Leistungsträger die Prüfung des Einzelfalles anhand der Unbilligkeitsverordnung vornehmen und feststellen, ob vergleichbare sonstige besondere Härten gegeben sind. Darüber hinaus ist er aber nicht verpflichtet, auch noch inzident feststellen, ob und in welcher Höhe der Leistungsempfänger beim Bezug einer geminderten Altersrente Anspruch auf ergänzende Leistungen nach dem SGB 12 hat.

 

Tenor

Die Beschwerden werden zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (im Folgenden: Antragstellerin) begehrt die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen die Aufforderung des Antrags- und Beschwerdegegners (Im Folgenden: Antragsgegner), vorzeitig einen Altersrentenantrag zu stellen, und die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) für dieses Verfahren.

Die am ... 1951 geborene Antragstellerin steht beim Antragsgegner im laufenden Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Zuletzt bewilligte der Antragsgegner mit Bewilligungsbescheid vom 6. November 2014 vorläufige Leistungen für den Zeitraum von Dezember 2014 bis Mai 2015 iHv 917,74 EUR monatlich (Regelbedarf: 391,00 EUR; Kosten der Unterkunft: 526,74 EUR).

Bereits mit Schreiben vom 28. April 2014 hatte der Antragsgegner die Antragstellerin aufgefordert, einen Rentenantrag bis zum 20. Juli 2014 zu stellen, hob diese Aufforderung auf den Widerspruch der Antragstellerin wieder auf. Nach einer erneuten Aufforderung des Antragsgegners legte die Antragstellerin eine Rentenauskunft der D. R. M. (im Folgenden: Rentenversicherungsträger) vom 6. August 2014 vor. Hiernach betrage die Regelaltersrente bei Erreichen der Regelaltersgrenze am 12. Dezember 2016 717,42 EUR. Bei Fortzahlung der bisherigen Beiträge an den Rentenversicherungsträger erhöhe sich die Regelaltersrente auf 725,62 EUR ohne Berücksichtigung von eventuellen Rentenanpassungen. Die Voraussetzungen der Vertrauensschutzregelung für eine Altersrente wegen Arbeitslosigkeit oder nach Altersteilzeitgesetz lägen vor, so dass kein Rentenabschlag bei einem Rentenbeginn ab dem 1. August 2016 eintreten würde.

Mit Bescheid vom 6. November 2014 forderte der Antragsgegner die Antragstellerin auf, bis zum 23. November 2014 einen Rentenantrag zu stellen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung habe er berücksichtigt, dass die Eingliederung der Antragstellerin in den Arbeitsmarkt gescheitert sei. Eine unbillige Härte liege nicht vor. Am 13. November 2014 verwies die Antragstellerin auf das zurücklegende Verwaltungsverfahren zur Beantragung einer Rente, was mit einem Aufhebungsbescheid zur ihren Gunsten endete. Am 4. Dezember 2014 erhob sie Widerspruch und verwies darauf, dass ihr laut Rentenauskunft vom 6. August 2014 ein Rentenanspruch ohne Abzüge ab dem 1. August 2016 zustehe. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Dezember 2014 wies der Antragsgegner den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus: Mit Vollendung des 63. Lebensjahrs sei die Klägerin bei Vorliegen der Voraussetzungen verpflichtet, eine vorzeitige Altersrente zu beantragen, auch wenn dies mit Abschlägen verbunden sei. Der Ausnahmefall des § 65 Abs. 4 SGB II sei bei der Klägerin nicht gegeben. Sie habe das 58. Lebensjahr erst am 13. Juli 2009 vollendet. Auch die Tatbestände der Unbilligkeitsverordnung vom 14. April 2008 seien nicht erfüllt. Die künftige Aufnahme einer Erwerbstätigkeit sei nicht ersichtlich. Nach der vorliegenden Rentenauskunft könne die Antragstellerin eine abschlagsfreie Altersrente frühestens am 1. August 2016 in Anspruch nehmen, d.h. in mehr als 1 ½ Jahren. Im Zuge der ordnungsgemäßen Ermessensausübung habe der Antragsgegner berücksichtigt, dass die Eingliederung in den Arbeitsmarkt gescheitert sei. Seit April 1991 sei die Antragstellerin fast durchgehend arbeitslos gewesen. Während dieser Zeit habe sie kurze Weiterbildungsmaßnahmen sowie eine sechsmonatige Beschäftigung (Oktober 2007 bis April 2008) gehabt. Nach einem Beratungsgespräch vom 13. März 2014 habe sie ihre Integration in den Arbeitsmarkt selbst für unwahrscheinlich erklärt. Bewerbungsaktivitäten habe sie seit dem Jahr 2010 nicht mehr unternommen. Diese Umstände sprächen für eine Pflicht zur Rentenantragstellung. Die Inanspruchnahme einer vorzeitigen Altersrente führe jedoch zu einem dauerhaften Verlust von Rentenanwartschaften. Eine Beantragung der geminderten Altersrente im November 2014 würde z...

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