Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Rechtsweg. Angelegenheit der gesetzlichen Krankenversicherung iS von § 51 Abs 2 SGG. Apotheke. Vergütungskürzung durch Krankenversicherungsträger. Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gegen ein Pharmaunternehmen. Pflichtverletzung (hier: Rücksichtnahmepflicht) mit Ursprung in Regelungen des SGB 5. Eröffnung des Sozialrechtswegs

 

Leitsatz (amtlich)

1. Wird einer Apothekerin durch die Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung die Vergütung gekürzt, kommt für einen Schadensersatzanspruch gegen ein Pharmaunternehmen der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit zumindest nach § 51 Abs 2 SGG in Betracht.

2. Der Rechtsweg zu den Sozialgerichten ist gegeben, wenn die Klägerin die Verletzung von Rücksichtnahmepflichten geltend macht, die innerhalb eines Geflechts von Verträgen beider Beteiligter mit der Trägerin der gesetzlichen Krankenversicherung nach dem SGB V bestehen sollen.

3. Stützt sich die Klägerin dabei auf unspezifische Anspruchsgrundlagen des bürgerlichen Rechts, ist dies für die Zuordnung des Rechtsweges unmaßgeblich, wenn es letztlich um eine Verletzung von Pflichten gehen soll, die in den Regelungen des SGB V wurzeln.

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 1. April 2021 wird aufgehoben.

Der Rechtsweg zur Sozialgerichtsbarkeit ist zulässig.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beschwerdegegnerin.

Die weitere Beschwerde wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Die Beschwerdeführerin macht im Hauptsacheverfahren gegen die Beschwerdegegnerin einen Schadensersatzanspruch geltend, der sich nach ihrer Auffassung aus dem Unterbleiben einer Lieferausfallbescheinigung ergibt. Zwischen der AOK Sachsen-Anhalt und der Beschwerdegegnerin bestand im maßgeblichen Zeitraum ein Arzneimittelrabattvertrag nach § 130a Abs. 8 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches (SGB V) in Bezug auf ein bestimmtes Arzneimittel. Dieses konnten von der Beschwerdeführerin betriebene Apotheken nach ihrem Vortrag im Zeitraum Mai/Juni 2019 an mehrere Versicherte der AOK Sachsen-Anhalt nicht abgeben, weil sie es weder von der Beschwerdegegnerin noch vom Großhandel erhalten konnten. Die Abrechnung wirkstoffgleicher Präparate anderer Hersteller beanstandete die AOK Sachsen-Anhalt unter Rückforderung der Vergütungen, weil ihr eine Lieferunfähigkeit nicht gemeldet worden war. Eine entsprechende Bescheinigung stellte die Beschwerdegegnerin auch nachträglich nicht aus. Die Grundlage für die Bindung der Beschwerdeführerin gegenüber der AOK Sachsen-Anhalt stellt ein Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Abs. 2 SGB V dar. Nach einer Vergleichsregelung mit der AOK Sachsen-Anhalt über einen Teil der Vergütung macht die Beschwerdeführerin die ihr entgangene Vergütung mit der Begründung geltend, die Beschwerdegegnerin habe eine Nichtlieferbarkeitsbescheinigung ausstellen müssen, mit der die Beschwerdeführerin sich gegenüber der AOK Sachsen-Anhalt habe entpflichten können.

Die Beschwerdeführerin machte gegenüber der Beschwerdegegnerin vorgerichtlich geltend, es bestehe ein Schadenersatzanspruch nach § 280 Abs. 1, § 282, § 241 Abs. 2,  § 311 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 BGB. Sie sei zur Abgabe von Medikamenten als Gegenstand von Rabattverträgen verpflichtet, soweit nicht Unvermögen durch Lieferausfall besteht. Damit unterliege sie einem Kontrahierungszwang bezüglich solcher Medikamente, der Rücksichtspflichten im Sinne von § 311 BGB begründe. Eine solche Nebenpflicht habe die Beschwerdegegnerin durch die verweigerte Bescheinigung über die fehlende Lieferbarkeit verletzt. Die Beschwerdegegnerin erwiderte, sie sei lediglich eingeschränkt leistungsfähig in dem Sinne gewesen, dass sie nicht die gesamte Nachfrage nach dem Medikament an allen Tagen habe befriedigen können.

Mit der am 8. Januar 2021 beim Sozialgericht Magdeburg erhobenen Klage hat die Beschwerdeführerin ergänzend geltend gemacht, die Rabattverträge seien Verträge mit Schutzwirkung zu Gunsten Dritter. Diese seien die Apotheken, die für beide Vertragsparteien erkennbar in die Leistungsnähe kämen und an deren Schutz ein Interesse bestehe. Sie seien Pflichtverletzungen ebenso ausgesetzt wie der Gläubiger selbst.

Das Sozialgericht hat die Beteiligten auf Bedenken gegen den Rechtsweg der Sozialgerichtsbarkeit hingewiesen und seine Absicht zur Verweisung an das Amtsgericht Leverkusen angekündigt. Die Beschwerdeführerin bestreitet den Erhalt dieses Schreibens.

Mit Beschluss vom 1. April 2021 hat das Sozialgericht sich für örtlich und sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht Leverkusen verwiesen. Es gehe um eine Schadensersatzklage aus dem Zivilrecht. Eine Anspruchsgrundlage im Sozialrecht gebe es dafür nicht. Im SGB X enthaltene Anspruchsgrundlagen passten auf diesen Fall nicht. Gem. § 23 GVG seien die Amtsgerichte zuständig; örtlich nach § 17 ZPO das Amtsgericht Leverkusen am Sitz der Beklagten.

Gegen den Beschluss hat die Beschwerdeführerin am 12. April 2021 sofortige Beschwerde eingelegt und aus...

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