Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. vorläufige Leistungen im Rahmen der Folgenabwägung. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. anderes Aufenthaltsrecht. Familienzusammenführung. verfassungskonforme Auslegung
Leitsatz (amtlich)
1. Die Anwendbarkeit des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 (Leistungsausschluss für Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich alleine aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt) setzt voraus, dass tatsächlich Arbeit gesucht wird. Der Gesetzgeber wollte mit diesem Ausschlusstatbestand nur den ausdrücklich genannten Personenkreis (Personen, die Arbeit suchen und denen deshalb nach dem Recht der Europäischen Union ein Aufenthaltsrecht zusteht) erfassen.
2. Sofern ein Recht auf Freizügigkeit nach § 2 Abs 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizüG/EU; juris: FreizügG/EU 2004) verneint wird, ist entsprechend § 11 Abs 1 letzter Satz FreizüG/EU zu prüfen, ob der oder dem Betroffenen durch das Aufenthaltsgesetz eine bessere Rechtsposition vermittelt wird als durch das FreizüG/EU.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 17. März 2014 wird abgeändert. Die Verpflichtung der Beigeladenen zur Leistungserbringung wird aufgehoben. Stattdessen wird der Antragsgegner verpflichtet, den Antragstellern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in gesetzlicher Höhe für die Zeit vom 26. Mai 2014 bis zum 31. Oktober 2014 zu gewähren.
Die Beschwerden werden im Übrigen zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten darüber, ob die Antragsteller Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts haben und, falls die bejaht wird, ob der Antragsgegner, als die in H. zur einheitlichen Durchführung der Grundsicherung für Arbeitsuchende gebildete gemeinsame Einrichtung, oder die beigeladene Stadt H. als örtlicher Träger der Sozialhilfe den Antragstellern vorläufig existenzsichernde Leistungen zu erbringen hat.
Die Antragsteller sind rumänische Staatsangehörige. Der am ... 1993 geborene Antragsteller zu 1. und die am ... 1999 geborene Antragstellerin leben als nicht verheiratetes Paar zusammen; die am ... 2013 geborene Antragstellerin zu 3. ist das gemeinsame Kinder der Vorgenannten.
Der Antragsteller zu 1. ist nach seinen Angaben im Juli 2013 nach Deutschland eingereist. Nach den Angaben in der Anmeldebestätigung des Einwohnermeldeamts der Stadt H. ist er am 26. August 2014 mit in die Wohnung seiner schon in H. lebenden Eltern, der Eheleute T. und A. U. gezogen. Dort lebte zumindest damals noch ein im November 1998 geborener Bruder. Mieter der Wohnung ist der Vater des Antragstellers zu 1. Die Wohnung hat drei Zimmer, Küche, Flur und Bad sowie eine Wohnfläche von 59,60 m². An monatlichen Aufwendungen fallen an: 260,00 EUR Miete, 94,11 EUR Betriebskostenvorauszahlung und 65,00 EUR Heizkostenvorauszahlung. Der Vater des Antragstellers zu 1. übt eine selbstständige Erwerbstätigkeit aus. Weil die Einkünfte aus dieser Erwerbstätigkeit nicht zur Deckung des Bedarfs der Elters des Antragstellers, des Antragstellers und seines Bruders ausreichten, bewilligte der Antragsgegner diesen Personen laufende Leistungen zum Lebensunterhalt, wobei er davon ausging, diese bildeten eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des Zweiten Buchs Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Nach den Angaben in der Anmeldebestätigung ist die Antragstellerin zu 2. mit der Antragstellerin zu 3. am 15. Oktober 2013 dann ebenfalls aus Rumänien kommend in die Wohnung der Familie des Antragstellers zu 1. eingezogen. Der Antragsgegner ging nunmehr davon aus, der Antragsteller zu 1. bilde mit den Antragstellerinnen zu 2. und 3. eine Bedarfsgemeinschaft und hob ihm gegenüber die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts auf.
Am 1. November 2013 stellten die Antragsteller beim Antragsgegner Anträge auf die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts. Diese Anträge lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 5. Dezember 2013 ab. Die Antragsteller stellten am 5. Mai 2014 neue Leistungsanträge beim Antragsgegner, die dieser mit Bescheid vom 14. Mai 2014 unter Hinweis auf § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II abgelehnte. Hiergegen erhoben die Antragsteller anwaltlich vertreten am 20. Mai 2014 Widerspruch.
Die Antragsteller haben am 26. Mai 2014 beim Sozialgericht Halle (SG) den Antrag auf Erlass einer einstweiliger Anordnungen gestellt mit dem Begehren, ihnen "bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache vorläufig Leistungen nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe zu zahlen". Zur Begründung haben sie ausgeführt, die Ablehnung von Leistungen ihnen gegenüber finde keine rechtliche Grundlage in § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Der Antragsteller zu 1. hat an Eides statt erklärt, über kein Einkommen und kein Vermögen zu verfügen.
Demgegenüber hat der Antragsgegner vertreten: Der Leistun...