Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Rechtmäßigkeit der Aufforderung zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente. Rechtsschutzbedürfnis. zwischenzeitliche Rentenbewilligung auf Antrag des Grundsicherungsträgers. laufender Überprüfungsantrag. Unbilligkeit. Hilfebedürftigkeit im Alter. Anwendbarkeit des § 6 UnbilligkeitsV auf Zeiten vor seinem Inkrafttreten
Leitsatz (amtlich)
1. Sofern es, zB aufgrund eines Überprüfungsantrages, noch möglich erscheint, dass die bereits auf Antrag des Grundsicherungsträgers gewährte Altersrente mit Abschlägen noch zugunsten des Leistungsberechtigten in eine abschlagsfreie Rentengewährung umgewandelt werden könnte, besteht ein Rechtsschutzinteresse für eine Klage wegen der Aufforderung zur Beantragung der vorzeitigen Altersrente.
2. Die Regelung zur Unbilligkeit in § 6 UnbilligkeitsV für den Fall der Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente und dabei zu erwartender Hilfebedürftigkeit in der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ist erst zum 1. Januar 2017 in Kraft getreten und entfaltet keine Wirkung für die Vergangenheit (Anschluss an BSG vom 24.6.2020 - B 4 AS 12/20 R = FEVS 72, 340 = juris RdNr 25).
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Der Kläger wendet sich im Überprüfungsverfahren gegen eine Aufforderung des Beklagten vom 7. Januar 2015, vorzeitig eine Altersrente mit Abschlägen in Anspruch zu nehmen.
Der am ... 1952 geborene Kläger bezog zusammen mit seiner 1958 geborenen Ehefrau vom Beklagten fortlaufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in Höhe des Regelbedarfs für Partner sowie laufender und einmaliger Kosten der Unterkunft und Heizung für ihr Eigenheim, so u.a. auch im Bewilligungszeitraum Januar 2015 bis Dezember 2015. Einkommen erzielte der Kläger nicht; seine Ehefrau ging zeitweise einer geringfügigen Beschäftigung mit einem Arbeitsentgelt monatlich unter 100,00 Euro nach.
Mit Bescheid vom 7. Januar 2015 forderte der Beklagte den Kläger auf, bis zum 24. Januar 2015 eine geminderte Altersrente bei der Deutschen Rentenversicherung zu beantragen. Der Kläger sei verpflichtet, Sozialleistungen anderer Träger in Anspruch zu nehmen und die dafür erforderlichen Anträge zu stellen, sofern dies zur Vermeidung, Beseitigung, Verkürzung oder Verminderung der Hilfebedürftigkeit erforderlich sei (§ 12a SGB II). Aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung, vorrangige Leistungen in Anspruch zu nehmen, sei der Beklagte berechtigt, den Antrag ersatzweise zu stellen, wenn die Antragstellung nicht umgehend erfolge (§ 5 Abs. 3 SGB II). Unter Abwägung aller Gesichtspunkte sei er zu der Entscheidung gekommen, den Kläger zur Beantragung vorrangiger Leistungen aufzufordern. Bei der Ermessensentscheidung seien die Voraussetzungen der Unbilligkeitsverordnung (UnbilligkeitsV) geprüft worden. Keine der dort genannten Ausnahmen liege vor. Auch wenn die vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente eine finanzielle Einbuße beinhalte, könne nach Prüfung und Abwägung mit den Gründen der UnbilligkeitsV nicht auf eine vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente verzichtet werden. Daher sei der Kläger verpflichtet, ab Vollendung des 63. Lebensjahres auch eine geminderte Altersrente in Anspruch zu nehmen.
Dagegen legte der Kläger am 22. Januar 2015 Widerspruch ein und verwies auf lebenslange finanzielle Nachteile. Eine später eingereichte Rentenauskunft vom 18. Mai 2015 wies eine Regelaltersrente in Höhe von 996,68 Euro (brutto) beginnend ab dem 1. September 2017 aus. Die Inanspruchnahme einer Altersrente für langjährig Versicherte sei bei dem Kläger ab dem 1. März 2015 mit einer Minderung um 9 Prozent möglich.
Mit Widerspruchsbescheid vom 3. Juni 2015 wies der Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 7. Januar 2015 als unbegründet zurück. Die Aufforderung stehe im Ermessen des Leistungsträgers. Der Kläger sei vorliegend nach § 5 Abs. 3 SGB II iVm § 12a SGB II verpflichtet, die vorzeitige geminderte Altersrente in Anspruch zu nehmen. Ein Ausnahmefall nach der UnbilligkeitsV liege nicht vor, insbesondere könne der Kläger die Regelaltersrente erst ab dem 1. September 2017 und damit nicht in nächster Zukunft in Anspruch nehmen. Auch andere Ausnahmefälle seien nicht ersichtlich. Überdies werde durch die Inanspruchnahme der geminderten Altersrente auch kein Dauerbezug von Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch - Sozialhilfe (SGB XII) verursacht. Die geminderte Altersrente betrüge nach der Berechnung des Beklagten 819,45 Euro netto. Hiermit könne der Kläger seinen eigenen Bedarf vollständig decken. Auf den Bedarf der Ehefrau sei nicht abzustellen. Die in § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II geregelte Bedarfsanteilsmethode gebe es im SGB XII nicht, sodass der Kläger nicht nach dem SGB XII hilfebedürftig werde. Im Ergebnis sei kein Grund er...