Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Verschuldenskosten. Auferlegung von Verfahrenskosten auf die Behörde wegen unterlassener Ermittlungen im Verwaltungsverfahren. Unanwendbarkeit von § 192 Abs 4 S 1 SGG bei bereits vor dem 1.4.2008 abgeschlossenem Verwaltungsverfahren. Kostenentscheidung. Beschwerdeverfahren
Leitsatz (amtlich)
1. Die Auferlegung von Verfahrenskosten nach § 192 Abs 4 SGG verstößt gegen die Grundsätze des intertemporalen Prozessrechts, wenn das Verwaltungsverfahren bereits vor dem Inkrafttreten der Regelung (1.4.2008) abgeschlossen war. Das Ziel des Gesetzgebers, die Behörden durch die mögliche Kostenfolge zu sorgfältiger Ermittlung anzuhalten und damit bei den Gerichten Entlastungseffekte zu erreichen, kann für Verwaltungsverfahren, die bereits vor dem 1.4.2008 abgeschlossen waren, nicht mehr erreicht werden. Die Behörde hat keine tatsächliche Möglichkeit mehr, ihr Handeln an den Anforderungen des § 192 Abs 4 SGG auszurichten.
2. Bei dem Beschwerdeverfahren gegen eine Kostenentscheidung nach § 192 Abs 4 SGG handelt es sich um ein selbstständiges, nicht kontradiktorisches Verfahren im Rahmen des von den Beteiligten betriebenen Hauptsacheverfahrens. Eine Kostenentscheidung zugunsten des Klägers des Hauptsacheverfahrens scheidet damit aus. § 197a SGG findet Anwendung mit der Folge, dass bei einem Obsiegen des Beklagten die Staatskasse in entsprechenden Anwendung des § 46 Abs 1 OWiG iVm § 467 Abs 1 StPO die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen hat. Eine Entscheidung über die Gerichtskosten entfällt.
Normenkette
SGG § 192 Abs. 4, § 197a; OWiG § 46; StPO § 467 Abs. 1
Tenor
Die vom Sozialgericht Magdeburg im Urteil vom 17. März 2011 unter Punkt 8 des Tenors ausgesprochene Verpflichtung des Beklagten, die Hälfte der Kosten des gerichtlichen Sachverständigengutachtens zu übernehmen, wird aufgehoben.
Die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beklagten trägt die Staatskasse.
Gründe
I.
Der Beklagte wendet sich mit seiner Beschwerde gegen die vom Sozialgericht Magdeburg im Urteil vom 17. März 2011 ausgesprochene Verpflichtung, die Hälfte der Kosten des gerichtlichen Sachverständigengutachtens als Verfahrenskosten tragen zu müssen.
In der Sache streiten die Parteien in einem inzwischen in der Berufungsinstanz anhängigen Klageverfahren um einen Anspruch des Klägers gegen den Beklagten auf Übernahme der Kosten für eine Dachsanierung im Rahmen des § 22 des Zweiten Buches des Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II).
Der Kläger, der im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II stand, hatte am 14. September 2006 beim Beklagten die Übernahme der Kosten für eine Neueindeckung des Daches beantragt. Mit Bescheid vom 23. November 2006 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies er nach Durchführung eines Hausbesuches beim Kläger zur Begutachtung des Daches durch den Sozialen Dienst mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2007, der dem Kläger am 14. Mai 2007 bekanntgegeben wurde, als unbegründet zurück. Auch die Bewilligung eines Darlehens lehnte der Beklagte ab.
Gegen die Ablehnung der Übernahme der Kosten einer Neueindeckung des Daches hat der Kläger am 12. Juli 2007 Klage vor dem Sozialgericht erhoben. Dieses hat nach Einholung eines Sachverständigengutachtens mit Urteil vom 17. März 2011 den Beklagten verpflichtet, neben den Kosten der dort austenorierten Instandsetzungsmaßnahmen auch die Hälfte der Kosten des gerichtlichen Sachverständigengutachtens zu tragen. Im Wesentlichen hat es zur Kostentragungslast für das Sachverständigengutachtens zur Begründung ausgeführt, dessen Einholung durch das Gericht wäre nicht notwendig gewesen, wenn zuvor der Beklagte im Verwaltungsverfahren die erforderlichen Sachverhaltsaufklärungen durchgeführt hätte.
Gegen das ihm am 14. April 2011 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 3. Mai 2011 Berufung (L 5 AS 165/11) und Beschwerde gegen die teilweise Kostenauferlegung für das Sachverständigengutachten eingelegt. Erst im Klageverfahren habe der Kläger statt der zuvor begehrten Neueindeckung des Daches die Übernahme der Kosten für eine Dachsanierung begehrt. Er, der Beklagte, habe im Verwaltungsverfahren alle damals unter Berücksichtigung des gestellten Antrags notwendigen Ermittlungen durchgeführt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten sowie auf die Gerichtsakte ergänzend Bezug genommen.
II.
Die nach § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig (§ 172 Abs. 1 SGG). Insbesondere hindert der Umstand, dass das Sozialgericht den Beklagten zur Tragung eines Teils der Verfahrenskosten nicht, wie in § 192 Abs. 4 Satz 2 SGG bestimmt, durch einen gesonderten Beschluss, sondern im Urteil zusammen mit der Sachentscheidung verpflichtet hat, nicht die Statthaftigkeit der Beschwerde. Das folgt aus dem Grundsatz, dass Fehler des Gerichts grundsätzlich nicht zu Lasten einer Partei gehen d...