Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Asylbewerberleistung. Anspruchseinschränkung. Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Anordnungsgrund. Einschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit. Beschaffung eines Passes oder Passersatzpapiers. Konkretisierung der Mitwirkungspflicht
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Verwaltungsakt über die Gewährung von Leistungen nach dem AsylbLG ist ausnahmsweise dann ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, wenn nach Auslegung des Bewilligungsbescheids nicht nur eine einmalige Bewilligung für einen bestimmten Monat, sondern ohne zeitliche Beschränkung vorliegt.
2. Die Bewilligung von Leistungen nach § 1a AsylbLG enthält keinen Verwaltungsakt über die Kürzung von Leistungen nach § 3 AsylbLG. Soweit zuvor Leistungen nach § 3 AsylbLG nicht ausnahmsweise durch Dauerverwaltungsakt bewilligt worden sind, ist für das Begehren nach höheren Leistungen nur der Antrag auf einstweilige Anordnung zulässig.
3. Bei der Erbringung von Leistungen nach § 1a AsylbLG ergibt sich ein Anordnungsgrund für eine einstweilige Anordnung auf Erbringung von Leistungen nach § 3 AsylbLG regelmäßig bereits aus der völligen Einschränkung der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit durch die Beschränkung der Leistungen auf das unabweisbar Notwendige.
4. Der Personenkreis nach § 1a Nr 2 AsylbLG umfasst nur geduldete oder vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer, gegen die ausschließlich aus von diesen zu vertretenen Gründen der Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen zumindest vorübergehend vollständig ausgeschlossen ist.
5. Ein Unterlassen hat der Leistungsberechtigte nur zu vertreten, wenn ihn eine gesetzliche Verpflichtung zu einer bestimmten Handlung traf, dies für ihn - insbesondere durch Aufforderungen zur Vornahme konkreter Handlungen - hinreichend konkret erkennbar war, die Erfüllung dieser Verpflichtung geeignet und notwendig war, die Aufenthaltsdauer zu verkürzen und die Erfüllung dieser Verpflichtung dem Leistungsberechtigten zumutbar war.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Dessau vom 13. Juli 2006 wird aufgehoben.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, dem Antragsteller unter Anrechnung erbrachter Leistungen ab dem 27. Juni 2006 bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung des Verfahrens S 10 AY 4/06 des Sozialgerichts Dessau, jedoch längstens bis zur Beendigung seines Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland, vorläufige ungekürzte Leistungen nach § 3 Asylbewerberleistungsgesetz zu gewähren.
Der Antragsgegner hat dem Antragsteller die notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand
Der Antragsteller wendet sich gegen die Gewährung von Leistungen nach § 1a Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) statt nach § 3 AsylbLG.
Der Antragsteller besitzt nach eigenen Angaben die Staatsangehörigkeit Kameruns und reiste nach seinem Bekunden am 22. August 2002 auf dem Seeweg in die Bundesrepublik Deutschland ein. Während einer persönlichen Anhörung im Asylverfahren gab er am 29. August 2002 im Wesentlichen an, er habe mit seinen Eltern in dem Dorf Bakassi in Kamerun gelebt und sei auf dem dortigen See als Fischer tätig gewesen. An einem nicht näher bestimmten Tag des Jahres 2002 hätten sein Vater, seine Mutter, sein kleiner Bruder und er auf dem See gefischt und seien beschossen worden. Ein Schuss habe den Benzinmotor ihres Kanus getroffen und das Kanu habe gebrannt. Er habe sich an einem leeren Benzinkanister festgehalten und sei durch den Fluss, der den See mit dem offenen Meer verbinde, auf das Meer getrieben worden. Dort sei er von einem Schiff an Bord genommen worden und mit diesem Schiff zu einem europäischen Hafen gelangt. Eine Einreisekontrolle habe er nicht passiert. Wie es seinen Eltern jetzt gehe, wisse er nicht. Außer seinen Eltern und seinem Bruder wisse er von keinen Verwandten in Kamerun. Eine Schule habe er nicht besucht. Personalpapiere habe er weder bei sich, noch jemals besessen. Er wisse auch nicht, welche Papiere sein Vater gehabt habe. Allerdings habe ein Mann für ihn den Namen eines Ortes auf ein Papier geschrieben, als er an einem Ort weit weg von Bakassi zum Schiff gegangen sei. Dieses Papier sei bei seiner Ankunft in Halberstadt von dem Mann an der Wache weggeworfen worden. Der Asylantrag des Antragstellers wurde mit Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 27. März 2003, rechtskräftig seit 30. April 2003, abgelehnt. Seit dem 1. Juli 2003 ist der Antragsteller im Besitz einer ausländer- bzw. aufenthaltsrechtlichen Duldung, die bis zum heutigen Tag mehrfach verlängert wurde.
Am 30. Oktober 2002 wurde der Antragsteller dem Antragsgegner zugewiesen. Am selben Tage beantragte er Leistungen nach dem AsylbLG. Der Antragsgegner bewilligte ihm ab diesem Tage Leistungen nach § 3 AsylbLG. Der letzte Bewilligungsbescheid stammt vom 16. Dezember 2004. Danach wurden dem Antragsteller ab Dezember 2004 monatliche Leistungen in Höhe von 194,29 € bewilligt. Diese setzten sich zusammen aus dem Geldbetrag nach § 3 Abs. 1 AsylbLG in Höhe von 40,90 €, Zusatzleistungen nach §...