Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslosengeld II. Unterkunft und Heizung. Auszug einer 28-Jährigen aus dem elterlichen Haushalt. Erforderlichkeit des Umzugs
Leitsatz (amtlich)
Es kann offenbleiben, ob die Altersgrenze des § 22 Abs 5 SGB 2 nur so auszulegen ist, dass unter 25-Jährige besondere Gründe für den Auszug aus dem elterlichen Haushalt benötigen, oder ob damit zugleich klargestellt ist, dass ab Erreichen dieser Altersgrenze keine zusätzlichen Gründe für einen Auszug aus der elterlichen Wohnung mehr vorliegen müssen (vgl LSG Neubrandenburg vom 22.7.2008 - L 10 B 203/08, juris). Der Umzug in eine angemessene Wohnung ist jedenfalls dann erforderlich, wenn der 28-Jährige zuvor im elterlichen Wohnhaus nur ein 9 qm großes Zimmer mit Schrägen zur Verfügung stand und die beengten Wohnverhältnisse zu familiären Spannungen geführt hatten.
Normenkette
SGB II § 22 Abs. 1 S. 1, Abs. 4-5
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 10. März 2014 wird aufgehoben.
Der Antragsgegner wird verpflichtet, an die Antragstellerin vorläufig ab Januar 2014 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens beim SG Dessau-Roßlau S 11 AS 955/13 Leistungen für Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 348,00 EUR monatlich zu zahlen.
Der Antragsgegner hat der Antragstellerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten für beide Instanzen zu erstatten.
Gründe
I.
Die Beschwerdeführerin und Antragstellerin (im Folgenden: Antragstellerin) begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes vom Antragsgegner und Beschwerdegegner (im Folgenden: Antragsgegner) die vorläufige Gewährung von monatlich entstehenden Kosten der Unterkunft und Heizung (KdU) im Rahmen der Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) ab Januar 2014.
Die am ... 1983 geborene Antragstellerin ist ledig und ohne Erwerbseinkommen. Sie bezog vom Antragsgegner SGB II-Leistungen in Form der Regelleistungen in Höhe von 374,00 EUR monatlich im Zeitraum Januar bis Juni 2012. Am 27. April 2012 stellte sie beim Antragsgegner einen Antrag auf Leistungen nach einem Wohnungswechsel, da sie nicht mehr bei den Eltern wohnen zu wolle. Dies lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 3. Mai 2012 ab, da der Umzug nicht erforderlich sei. Hiergegen richtete sich der Widerspruch vom 8. Mai 2012, mit dem die Antragstellerin geltend machte: Sie sei mittlerweile 28 Jahre alt und wolle ein altersgemäßes Privatleben führen. Bei den Eltern bewohne sie ein Zimmer und müsse Küche und Bad mit ihnen teilen. Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2012 wies der Antragsgegner den Widerspruch zurück.
Mit Vertrag vom 30. April 2012 hatte die Antragstellerin bei der J. Wohnbau GbR eine Zweiraumwohnung (48,3 m² Wohnfläche) zum Mietpreis von 250 EUR zuzüglich monatlicher Vorauszahlung für anfallende Betriebskosten in Höhe von 98,00 EUR angemietet. Zuvor wohnte sie bei ihren Eltern in der W.-R. Straße in R. Am 15. Mai 2012 zog sie bei ihren Eltern aus und bezog die neue Wohnung. Am 24. Mai 2012 hatte die Antragstellerin beim SG Dessau-Roßlau (S 11 AS 1272/12 ER) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und die Gewährung von Kosten für Unterkunft und Heizung begehrt. Das SG hatte diesen Antrag mit Beschluss vom 20. Juni 2012 abgelehnt und zur Begründung ausgeführt: Zwar habe die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, es fehle jedoch an einem Anordnungsgrund. Es bestehe keine Notlage, da sie von ihren Eltern ein Darlehen für die ersten dreieinhalb Monatsmieten erhalten habe und zudem über ein Vermögen von ca. 4.200,00 EUR verfüge. Die Hauptsacheverfahren sind beim SG Dessau-Roßlau unter den Aktenzeichen S 11 AS 1950/12, S 11 AS 2350/12 und S 11 AS 955/13 anhängig.
Am 24. Januar 2014 hat die Antragstellerin beim SG einen erneuten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt, die Zahlung von Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 348,00 EUR ab Januar 2014 verlangt und zur Begründung ausgeführt: Zum Zeitpunkt des Auszuges sei sie bereits 28 Jahre alt gewesen und habe daher die Altersgrenze von 25 Jahren nach § 22 Abs. 5 SGB II deutlich überschritten. Ein Verbleiben in dem elterlichen Haus könne schon wegen der grundrechtlichen Bedeutung des Rechtes auf Selbstbestimmung sowie des Rechtes auf Freizügigkeit nicht verlangt werden. § 22 Abs. 1 Satz 2 SGB II sei nicht anzuwenden, da sie vor dem Umzug keinen Wohnraum zu den typischen Bedingungen des Wohnungsmarktes bewohnt habe. Die Unterkunftskosten für die angemietete Wohnung seien angemessen. Es bestehe eine besondere Eilbedürftigkeit, da die Antragstellerin seit Oktober 2013 nach Ende des Bundesfreiwilligendienstes über keinerlei Einkommen mehr verfüge. Aktuell bestehe die Gefahr von nicht unerheblichen Mietschulden, die eine fristlose Kündigung zur Folge haben könnten. Bei Verwendung der Regelleistung für die Miete verblieben ihr lediglich 43,00 EUR monatlich zum Leben.
Der Antragsgegner hält den Antrag für unbegründet und hat ausgeführt: ...