Entscheidungsstichwort (Thema)
Einstweiliger Rechtsschutz. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Einkommensberücksichtigung. Nichtberücksichtigung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung im Insolvenzverfahren. Pfändbarkeit. Pflicht des Grundsicherungsträgers zur Unterstützung beim Antrag nach § 850i ZPO
Leitsatz (amtlich)
1. Wenn über das Vermögen des Leistungsberechtigten das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, stehen ihm Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nicht als "bereites Mittel" zur Deckung des Lebensunterhaltes zur Verfügung, sodass im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorläufig Leistungen nach dem SGB 2 als Zuschuss durch den Grundsicherungsträgers zu erbringen sind.
2. Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung fallen in die Insolvenzmasse (§§ 35, 36 InsO), da sie nach § 851b ZPO der Pfändung unterworfen sind. Eine Unpfändbarkeit folgt weder aus §§ 811, 850ff ZPO noch aus § 765a ZPO oder § 54 SGB 1 analog.
3. Nach vorläufiger Bewertung des Senats sind Einnahme aus Vermietung und Verpachtung nicht geeignet, über § 850i ZPO zu einer Beschränkung der Insolvenzmasse zu führen, da nach der gesetzlichen Systematik nur das Einkommen Erwerbstätiger erfasst werden sollte.
4. Hält der Grundsicherungsträger ein Vorgehen gem § 850i ZPO für erfolgversprechend, hat er den Leistungsberechtigten beim Vorgehen gegen den Insolvenzverwalter so zu unterstützen, dass dieser in der Lage ist, seine Rechte geltend zu machen. Denn dazu ist ein schlüssiger, die Voraussetzungen für die Gewährung des geltend gemachten pfändungsfreien Anteils darlegender Antrag ggf beim Insolvenzgericht zu stellen.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 15. Februar 2012 wird abgeändert. Der Antragsgegner wird verpflichtet, vorläufig an die Antragstellerin zu 1. Leistungen nach dem SGB II als Zuschuss für die Zeit vom 23. bis 31. Januar 2012 in Höhe von 168,83 EUR, für Februar 2012 in Höhe von 444,44 EUR, für März 2012 in Höhe von 426,65 EUR sowie für April 2012 in Höhe von 439,04 EUR zu erbringen. Im Übrigen werden die Beschwerde des Antragsgegners und die Anschlussbeschwerde der Antragsteller zurückgewiesen sowie der Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Die den Antragstellern entstandenen notwendigen Kosten hat der Antragsgegner zur Hälfte zu tragen.
Gründe
I.
Die Beteiligten streiten in der Beschwerdeinstanz über einen Anspruch der Antragstellerinnen gegen den Antragsgegner auf Bewilligung von Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches (SGB II) vom 23. Januar bis 31. Juli 2012.
Die am ... 1965 geborene Antragstellerin zu 1) lebt mit ihren zwei Kindern, der am ... 1996 geborenen Antragstellerin zu 2) und ihrem am 2. Januar 2002 geborenen Sohn K. in einer nach eigenen Angaben 120 qm bzw. 98,25 qm großen Wohnung, die im Obergeschoss eines Zweifamilienhauses gelegen ist. In der unteren Wohnung, die nach eigenen Angaben 60 qm bzw. 56,5 qm groß ist, wohnt der Ehemann der Antragstellerin zu 1), E., von dem sie seit 2005 getrennt lebt. Das Haus steht im Eigentum der Kinder der Antragstellerin zu 1), die es mit notariellem Kaufvertrag vom 16. März 2004 zu einem Preis von 40.000 EUR vom Ehepaar R erwarben. Mit Beschluss vom 4. Mai 2005 (11F 276/04 und 11 F 277/04 RE) genehmigte das Familiengericht K den Grundstückskaufvertrag mit der Auflage, das Mietkonto auf die beiden minderjährigen Kinder umzuschreiben.
Unter dem 16. März 2005 schloss die Antragstellerin zu 1) mit der Antragstellern zu 2) und ihrem Sohn K. einen Wohnraummietvertrag über die von ihr und den Kindern bewohnte Wohnung ab. Als Nutzungsentgelt wurde eine monatliche Grundmiete von 300 EUR zzgl. 50 EUR Nebenkosten vereinbart. Die Miete hatte die Antragstellerin 1) in bar an ihre Kinder zu leisten, was sie ausweislich der sich in der Verwaltungsakte des Antragsgegners befindlichen Quittungen für die Monate März bis August 2011 getan hatte.
Unter dem 2. Januar 2011 schloss der getrennt lebende Ehemann mit der Antragstellerin zu 2) und seinem Sohn K. einen Mietvertrag über die im Zweifamilienhaus gelegene 60 qm große Wohnung ab. Auch hier wurde als Nutzungsentgelt eine monatliche Grundmiete in Höhe von 300 EUR zzgl. 50 EUR Nebenkosten vereinbart. Ausweislich der sich in der Verwaltungsakte befindlichen Quittungen leistete er Zahlungen in den Monaten Januar bis November 2011 an seine Kinder.
Die Antragstellerin zu 1) ist Eigentümerin zweier weiterer Grundstücke, aus denen sie Mieteinnahmen in Höhe von insgesamt 1.000 EUR/Monat erzielte. Für die Antragstellerin zu 2) und ihren Bruder erhält sie Kindergeld in Höhe von je 184 EUR/Monat.
Am 1. Juli 2011 eröffnete das Amtsgericht D. über das Vermögen der Antragstellerin zu 1), die zuvor selbstständig tätig war, das Insolvenzverfahren. Der Insolvenzverwalter zog in der Folge die Mieteinnahmen aus den Grundstücken der Antragstellerin zu 1) direkt von den Mietern ein.
Für das Haus fielen nach den zu den Akten gereichten Unterlagen in den Monaten Januar bis April 2012 Monaten folgende Kosten ...