Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Anhörung eines bestimmten Arztes. teilweise Übernahme von Kosten eines Gutachtens. vollständige Kostentragung durch die Staatskasse. Umfang der Erstattung
Leitsatz (amtlich)
1. Eine nur teilweise Übernahme von Kosten eines Gutachtens nach § 109 SGG kommt nur dann in Betracht, wenn auch konkrete Anhaltspunkte für eine Kostenteilung vorliegen.
2. Sind die Kosten für ein Gutachten nach § 109 SGG in voller Höhe von der Staatskasse zu übernehmen, wird der Kläger so gestellt, als ob ein Gutachten von Amts wegen veranlasst worden wäre. Damit wird dem Grunde nach auch ein Anspruch auf alle mit der Gutachtenerstattung verbundenen Kosten (hier: Fahrtkosten und ggf Übernachtungskosten) ausgelöst, der sich nach den Vorschriften des JVEG richtet.
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 23. April 2020 wird abgeändert.
Die Kosten der Begutachtung gemäß § 109 Sozialgerichtsgesetz werden in voller Höhe von der Staatskasse übernommen.
Die Staatskasse hat dem Kläger die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.
Gründe
I.
Der Kläger und Beschwerdeführer (nachfolgend Kläger) begehrt die Kosten für die Erstattung eines nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingeholten Gutachtens.
Der Beklagte stellte bei dem am ... 2012 geborenen Kläger mit Bescheid vom 19. September 2013 einen Grad der Behinderung (GdB) von 50 sowie die Merkzeichen G (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und H (Hilflosigkeit) wegen einer Herzleistungsminderung bei operativ behandeltem angeborenen Herzfehler fest. Im Rahmen einer Nachuntersuchung von Amts wegen holte der Beklagte Befunde der behandelnden Ärzte des Klägers ein und zog den Entlassungsbericht der Ostseeklinik B. vom 4. Juni 2014 bei. Prof. Dr. G. (Direktor der Universitätsklinik und Poliklinik für Pädiatrische Kardiologie H.) schlug am 2. März 2015 in einer fachärztlichen Stellungnahme aufgrund einer Behandlung des Klägers am 23. Januar 2015 einen GdB von 50 bis 70 sowie das Merkzeichen H vor. Seine Einschätzung begründete er mit einer deutlichen Zyanose bei Anstrengung und rezidivierenden pulmonalen Infekten. Außerdem übersandte er weitere Befunde. Nach Beteiligung seines ärztlichen Gutachters stellte der Beklagte mit Bescheid vom 20. April 2015 beim Kläger ab 1. Mai 2015 einen GdB von 30 fest und entzog ihm die Merkzeichen G und H. Nach Widerspruch des Klägers holte der Beklagte weitere Befunde der behandelnden Ärzte ein. Nach erneuter Beteiligung seines ärztlichen Dienstes änderte der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 1. Februar 2016 seinen Bescheid vom 20. April 2015 ab und stellte beim Kläger am 1. Mai 2015 einen GdB von 40 fest und wies den weitergehenden Widerspruch zurück.
Dagegen hat der Kläger am 18. Februar 2016 Klage beim Sozialgericht (SG) H. erhoben und vorgetragen, dass keine Verbesserung des Gesundheitszustands eingetreten sei. Dies werde durch die Befunde der behandelnden Ärzte bestätigt und könne auch durch ein Sachverständigengutachten nachgewiesen werden. Da es sich um eine äußerst seltene Erkrankung handele, gehe er davon aus, dass der ärztliche Gutachter des Beklagten die Folgen nicht allumfassend einschätzen könne. Sofern das Gericht keine Begutachtung von Amts wegen in Erwägung ziehe, werde hilfsweise ein Gutachten nach § 109 SGG beantragt.
Das SG hat einen Bericht der behandelnden Kinderkardiologin Dr. K. vom August 2018 eingeholt, dem weitere Behandlungsunterlagen beigelegen haben. In Auswertung dieser Unterlagen hat der Beklagte auf eine Stellungnahme seiner ärztlichen Gutachterin hingewiesen, wonach keine Hinweise auf eine relevante Herzleistungsminderung vorhanden seien. Es sei von einem stabilen postoperativen Befund mit gutem Ergebnis auszugehen. Daraufhin hat das SG dem Kläger aufgeben, nachvollziehbare Erfolgsaussichten der Klage darzustellen und darauf hingewiesen, dass für eine Begutachtung nach § 106 SGG kein Anhalt bestehe.
Der Kläger hat nochmals u.a. auf die Stellungnahme des Prof. Dr. G. vom 2. März 2015 verwiesen. Daraufhin hat das SG dem Kläger unter dem 27. September 2016 mitgeteilt, dass die Befürwortung des GdB von 50 und der Merkzeichen durch Prof. Dr. G. aufgrund einer einmaligen Untersuchung bedeutungslos sei. Das Gericht lehne eine Beweisanordnung von Amts wegen ab.
Auf Antrag des Klägers hat Privatdozent (PD) Dr. K., Universitäres Herzzentrum H., Klinik und Poliklinik für Kinderkardiologie, unter dem 19. Juni 2017 ein Gutachten nach § 109 SGG erstattet. Der Sachverständige ist zum Ergebnis gekommen, dass die Voraussetzungen für einen GdB von 50 und die Merkzeichen G und H vorliegen. Es sei von einem erheblichen Sauerstoffsättigungsabfall im arteriellen Blut unter Leistungsabrufung auszugehen, der klinische Symptome der Funktionsklasse 3 (NYHA) bedinge. Die bereits postoperativ beschriebene Beeinträchtigung der rechtsventrikulären Funktion habe sich bis zum heutigen Zeitpunkt nur geringfügig verbessert. Nach den Kriterien der Deutschen Gesellschaft für ...