Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. einstweiliger Rechtsschutz. Feststellung der aufschiebenden Wirkung. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Widerspruch gegen Tilgungsbestimmung im Darlehensbescheid

 

Leitsatz (amtlich)

Der Widerspruch gegen eine Tilgungsbestimmung im Darlehensbescheid hat aufschiebende Wirkung, da § 39 SGB 2 keine Anwendung findet auf Aufrechnungen. Die Fälligkeit der Tilgung eines Darlehens berührt nur den Auszahlungsanspruch, nicht aber den Leistungsanspruch an sich.

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg vom 4. Oktober 2011 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass der Widerspruch vom 11. Mai 2011 und die Klage vom 14. Juli 2011 gegen den Bescheid des Beschwerdegegners vom 27. April 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Juli 2011 aufschiebende Wirkung haben. Der Beschwerdegegner hat im Wege der Vollzugsfolgenbeseitigung die ab Juni 2011 einbehaltenen Tilgungsraten von 108,06 EUR/Monat nachzuzahlen. Der Beschwerdegegner hat die außergerichtlichen Kosten der Beschwerdeführer für beide Rechtszüge zu erstatten. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Verfahrens des einstweiligen Rechtsschutzes darüber, ob ein Rechtsmittel gegen die Tilgungspflicht eines Darlehens aufschiebende Wirkung hat.

Die Antragsteller und Beschwerdeführer beziehen Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II). Aus Anlass eines Umzugs bewilligte der Antrags- und Beschwerdegegner mit Bescheid vom 27. April 2011 eine einmalige Beihilfe für die Mietkaution i.H.v. 1.100 EUR in Form eines Darlehens. Dieses sei ab Juni 2011 i.H.v. 108,60 EUR monatlich (= 10% des Regelbedarfs) zurückzuzahlen. Die Aufrechnung erfolge ab Juni 2011 als Tilgungsrate von den laufenden Leistungen. Bei einem durchgehenden Leistungsanspruch ergebe sich ein Aufrechnungszeitraum von zwölf Monaten.

In ihrem dagegen gerichteten Widerspruch vom 11. Mai 2011 wendeten sich die Beschwerdeführer gegen die ratenweise Einbehaltung von Sozialleistungen. Nach § 22 Abs. 6 SGB II sei ein zins- und tilgungsfreies Darlehen zu bewilligen.

Mit Bescheid vom 31. Mai 2011 bewilligte der Beschwerdegegner Leistungen für die Zeit vom 1. Juni bis 30. November 2011 i.H.v. 1.336,00 EUR/Monat. Unter "Zahlungsempfänger/Zahlungsweg" ist u.a. mit einem Betrag von 108,60 EUR aufgeführt: "INTERN KoBa WR "

Den Widerspruch wies der Beschwerdegegner mit Widerspruchsbescheid vom 7. Juli 2011 als unbegründet zurück. Die Voraussetzungen für die Übernahme einer Mietkaution gemäß § 22 Abs. 6 SGB II lägen nicht vor. Da ein Darlehen nur gemäß § 42a Abs. 2 SGB II bewilligt werden könne, sei es zulässig, die Rückzahlungsverpflichtung anzuordnen.

Die Beschwerdeführer haben am 14. Juli 2011 beim Sozialgericht Magdeburg einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt und gleichzeitig Klage gegen den Widerspruchbescheid vom 7. Juli 2011 erhoben. Sie haben die volle Auszahlung der bewilligten Leistungen ohne Abzug eines Tilgungsbetrags beantragt. In der Sache haben sie u.a. geltend gemacht, der Widerspruch habe aufschiebende Wirkung; hilfsweise müsse diese angeordnet werden. Von der Möglichkeit des Sofortvollzugs habe der Beschwerdegegner keinen Gebrauch gemacht und dieser könne auch aufgrund Zeitablaufs nicht mehr erfolgen. Im Übrigen stelle § 42a SGB II keine Rechtsgrundlage für eine Aufrechnung dar und sei darüber hinaus verfassungswidrig. Ein Anordnungsgrund liege vor, da es nicht um einen Bagatellbetrag gehe.

Der Beschwerdegegner hat sich auf den Standpunkt gestellt, der Widerspruch habe keine aufschiebende Wirkung. Dies ergebe sich aus der gesetzlichen Neuregelung des § 42a SGB II, wonach kein Ermessen hinsichtlich der Höhe der Aufrechnungsbetrags vorgesehen sei. Die Änderung des § 39 SGB II habe diesen Umstand berücksichtigt.

Das Sozialgericht hat mit Beschluss vom 4. Oktober 2011 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Für die begehrte Regelungsanordnung fehlten Anordnungsanspruch und -grund. § 42a SGB II bestimme die Verpflichtung zur Verrechnung des Darlehens mit 10% der Regelleistungen. Es bestünden auch keine Bedenken hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der Norm. Es fehle ferner ein Anordnungsgrund, da nur ein Betrag i.H.v. 10% der Regelleistungen betroffen sei. Schließlich sei auch nicht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen gewesen. Nach dem in § 39 SGB II angeordneten vordringlichen Vollzugsinteresse sei der Beschwerdegegner grundsätzlich von der Pflicht entbunden, das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit gesondert begründen. Die Interessenabwägung im Rahmen des Verfahrens auf einstweiligen Rechtsschutz führe dazu, das Interesse des Beschwerdegegners gegenüber dem der Beschwerdeführer höher zu bewerten. Die Beschwerde hat das Sozialgericht als unzulässig angesehen, da der Beschwerdewert von mehr als 750,00 EUR nicht erreicht werde.

G...

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