Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Anspruch auf eine kontinuierliche Glukosemessung (CGM) im einstweiligen Rechtsschutz bei Diabetes mellitus

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zur CGM hat der Gemeinsame Bundesausschuss nach § 135 Abs 1 S 1 SGB 5 noch keine positive Empfehlung abgegeben. Ungeklärt und höchstrichterlich noch nicht entschieden ist, ob ein Anspruch der Versicherten davon abhängt. Bei Hilfsmitteln, die nicht im Rahmen einer vertragsärztlichen Behandlungsmethode eingesetzt, sondern vom Versicherten selbständig verwendet werden, erscheint ein Erlaubnisvorbehalt gem § 135 SGB 5 nicht zwingend erforderlich, wenn die Wirksamkeit des Hilfsmittels nach der medizinisch-wissenschaftlichen Studienlage hinreichend belegt ist.

2. Bei der Prüfung des Anordnungsgrundes sind im Einzelfall die mit einem unzureichend eingestellten Blutzuckerspiegel verbundenen gesundheitlichen Risiken des Versicherten und die beim Einsatz der CGM zu erwartenden Vorteile gegen das Kostenrisiko der Krankenkasse abzuwägen.

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 17. September 2012 wird aufgehoben und die Antragsgegnerin verpflichtet, den Antragssteller vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens S 25 KR 127/12 mit einem Transmitter sowie Sensoren für das Glukosemesssystem (Fa. M.) zu versorgen.

Die Antragsgegnerin hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für beide Instanzen zu tragen.

 

Gründe

I. Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Versorgung mit einem Transmitter sowie mit einem Sensor für das kontinuierliche Glukosemesssystem der Firma M.

Der am 1971 geborene Kläger leidet seit dem Jahr 1982 an einem Diabetes mellitus Typ I. Das Landesversorgungsamt stellte auf seinen Antrag ab dem 3. Dezember 1992 einen Grad der Behinderung von 50 fest.

Im März 2010 nahm der Antragsteller an einem Hypoglykämiewahrnehmungstraining bei seinem behandelnden Facharzt für Innere Medizin und Diabetologie Dr. St. teil. Am 13. April 2011 beantragte er unter Vorlage einer ärztlichen Verordnung und eines ärztlichen Gutachtens von Dr. St. vom 4. April 2011 sowie eines Kostenvoranschlages über 1.188,81 EUR vom 12. April 2011 die Kostenübernahme für ein kontinuierliches Glukosemonitoring M. MiniMed Paradigm (MM PDM) Real-Time CGM Start-Set. Dr. St. hat in dem Gutachten mitgeteilt: Derzeit führe der Antragsteller sechs Blutzucker-Selbstmessungen täglich durch. Zur Abwehr von Folgeerkrankungen müsse die Stoffwechseleinstellung eng geführt werden. Beim Antragsteller träten häufig nächtliche Hypoglykämien mit einem erheblichen Risiko für Akut- und Folgeschäden auf. Er könne eine sich anbahnende Unterzuckerung nicht rechtzeitig oder überhaupt nicht bemerken, was zu einer Beeinträchtigung im psychosozialen Bereich führe und die Lebensqualität einschränke. Nach den bisherigen Verfahren habe die Ursache der hohen Glukose-Schwankungen nicht ermittelt werden können. Die letzten Hb1c-Werte hätten 9,1 (6.5.2010), 9,4 (20.9.2010), 9,4 (17.12.2010), 10,2 (18.3.2011) betragen. Trotz der Insulinpumpentherapie sowie einer optimierten Einstellung habe keine stabile Blutzuckereinstellung erreicht werden können. Zwischenzeitlich habe sich beim Antragsteller eine übermäßige Angst vor Unterzuckerungen eingestellt. Das kontinuierliche Glukosemonitoring sowie eine psychologische Betreuung könne die vorliegende Angststörung mildern. Bisher seien beim Antragsteller zur Therapie-Optimierung durchgeführt worden:

BZ-Tagesprofile erstellt,

Fester BE-Plan eingerichtet,

Überprüfung der Korrekturfaktoren,

Basalinsulinregime wurde angepasst,

Basalraten-Profil der Insulinpumpe wurde überprüft und angepasst.

Die Antragsgegnerin veranlasste eine Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK). In einem Gutachten vom 6. Mai 2011 gab Dipl.-Med. S. an: Beim Antragsteller bestehe eine schwerwiegende Erkrankung, die die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtige. Die kontinuierliche Glukosemessung sei nach einem Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) vom 9. Juli 2010 eine "Neue Untersuchungsmethode", die gemäß § 135 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) vom GBA anerkannt werden müsse. Dies sei noch nicht erfolgt. Nach einer vorläufigen Bewertung der sozialmedizinischen Expertengruppe "Methoden und Produktbewertung" SEG 7 vom 19. September 2009 wird wörtlich ausgeführt:

"Im begründeten Einzelfall ist es denkbar, dass bei Patienten mit Diabetes mellitus, die gehäuft und nicht vorhersehbar unter Insulinpumpentherapie immer wieder schwere Hypoglykämien erleiden, eine kontinuierliche Gewebemessung mit entsprechenden Sensoren begründet sein kann. Voraussetzung ist jedoch, dass alle vertraglichen Möglichkeiten ausgeschöpft wurden und Hypoglykämien dokumentiert wurden."

Diese Voraussetzungen seien beim Antragsteller nicht gegeben. Auch sei zunächst eine stationäre Behandlung angezeigt und eine Reha-Maßnahme zu empfehlen. Dem folgend lehnte die Antragsgegnerin mit Besch...

Dieser Inhalt ist unter anderem im Deutsches Anwalt Office Premium enthalten. Sie wollen mehr?


Meistgelesene beiträge