Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. anderes Aufenthaltsrecht. Wegfall der Freizügigkeitsberechtigung aus Arbeitnehmereigenschaft. Aufenthaltsrecht aufgrund der Ausübung der elterlichen Sorge während Schulbesuch des Kindes. Beginn der Schulausbildung zwar erst nach Eintritt der Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers aber vor Ablauf des Sechsmonatszeitraums
Leitsatz (amtlich)
1. Zu den Voraussetzungen des Arbeitnehmerbegriffs des § 2 Abs 2 Nr 1 FreizügG/EU (juris: FreizügG/EU 2004) und der Prüfung einer "tatsächlichen und echten" Beschäftigung.
2. Über Art 10 der VO 492/11 EU (juris: EUV 492/2011) kann sich ein Aufenthaltsrecht der Eltern ableiten, wenn das Kind während der unionsrechtlich bestehenden Freizügigkeitsberechtigung des Elternteils nach einem unfreiwilligen Arbeitsplatzverlust den regelmäßigen Schulbesuch aufgenommen hat (vgl LSG Essen vom 27.1.2016 - L 19 AS 29/16 B ER; entgegen LSG Celle-Bremen vom 15.1.2016 - L 15 AS 226/15 B ER).
Tenor
Der Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 15. März 2016 wird aufgehoben.
Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern vorläufig SGB II-Leistungen für die Zeit vom 15. bis 28. Februar 2016 in Höhe von 607,63 EUR und für die Zeit vom 1. März bis 31. Juli 2016 in Höhe von 1.215,25 EUR monatlich zu bewilligen und zu zahlen.
Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller für beide Rechtszüge zu tragen.
Gründe
I.
Die Antragsteller und Beschwerdeführer (im Folgenden: Antragsteller) begehren im Beschwerdeverfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für die Zeit vom 1. Februar bis zum 31. Juli 2016.
Der ... geborene Antragsteller zu 1 ist rumänischer Staatsbürger. Er zog mit seiner ... geborenen Tochter P. S. im November 2014 in die Bundesrepublik Deutschland und nahm vom 1. Februar bis 3. März 2015 eine Tätigkeit als Lagerhelfer für 11,5 Stunden wöchentlich und einem monatlichen Bruttoverdienst von 451,00 EUR auf. Beide bewohnten eine gemeinsame Wohnung. Am 17. Februar 2015 beantragte der Antragsteller zu 1. erstmals Leistungen nach dem SGB II, die mit Bescheid vom 19. März 2015 bewilligt wurden. Am 10. Juli 2015 zogen die Ehefrau des Antragstellers zu 1, die ... geborene Antragstellerin zu 2., und der gemeinsame Sohn, der im Jahr 2001 geborene Antragsteller zu 3., in die gemeinsame Wohnung. Mit einem Bescheid vom 16. Juli 2015 bewilligte der Antragsgegner den Antragstellern und der Tochter des Antragstellers zu 1. Leistungen vom 1. Juli 2015 bis 31. Januar 2016.
Bei der Bedarfsberechnung der Kosten der Unterkunft (KdU) in Gesamthöhe von 495,00 EUR ging der Antragsgegner von einer tatsächlichen
Grundmiete: 300,00 EUR,
Heiz- und Warmwasserkosten: 75,00 EUR,
Nebenkosten: 120,00 EUR,
für die von der vierköpfigen Familie bewohnten 3-Zimmerwohnung aus.
Der Antragsgegner zu 3. erhält seit Februar 2016 190,00 EUR Kindergeld monatlich.
Den Weiterbewilligungsantrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 20. Januar 2016 ab und führte zur Begründung aus: Das Arbeitsverhältnis des Antragstellers zu 1. habe am 3. März 2015 geendet, sodass er die Arbeitnehmereigenschaft für weitere sechs Monate behalten habe. Seit dem 1. Februar 2016 seien daher die gesetzlichen Voraussetzungen weggefallen.
Hiergegen legten die Antragsteller - anwaltlich vertreten - noch im Februar Widerspruch ein und machten geltend: Der Antragsgegner zu 3. sei der Sohn des Antragstellers zu 1. und besuche seit dem 27. August 2015 die Förderschule "A. H." in K. Nach einem Zeugnis vom 29. Januar 2016 habe er die zweite Klasse regelmäßig besucht. Der Antragsteller zu 3. habe ein Aufenthaltsrecht nach Art. 10 der Verordnung/EU Nr. 492/2011 vom 5. April 2011. Seine Eltern könnten daher ein Recht auf Aufenthalt geltend machen. Der Antragsteller zu 3. habe sein Aufenthaltsrecht aus der damals noch bestehenden Arbeitnehmereigenschaft des Antragstellers zu 1. begründet.
Am 15. Februar 2016 haben die Antragsteller beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht und ausgeführt: Nach der Begründung des Widerspruchs sei die Leistungsverweigerung rechtswidrig. Die Eilbedürftigkeit wegen einer wirtschaftlichen Notlage werde mit den vorgelegten Kontoauszügen belegt. Hiernach habe das Guthaben am 3. Februar 2016 nur noch 456,66 EUR betragen.
Für P. S. hat der Prozessbevollmächtigte nach Ablehnung des gesonderten Leistungsantrages durch den Beigeladenen einen eigenständigen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt, den das SG mit Beschluss vom 16. März 2016 abgelehnt hat (S 29 SO 8/16 ER). Das nachfolgende Beschwerdeverfahren ist beim 8. Senat des Landesozialgerichts Sachsen-Anhalt anhängig.
Der Antragsgegner hat seine Entscheidung verteidigt und geltend gemacht: Der Antragsteller zu 1. habe als Lagerhelfer bei der Fa. G. P....