Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Änderung des § 73a SGG durch das PKH/BerHRÄndG. Behandlung von Altfällen. Grundsätze des intertemporalen Prozessrechts. kein Beschwerdeausschluss nach § 73a Abs 8 SGG

 

Leitsatz (amtlich)

1. Auch in sog Altfällen, Fällen, in denen der PKH-Antrag vor dem 1. Januar 2014 gestellt worden ist, gelten verfahrensrechtlich die Neuregelungen der § 73a SGG nF (aA: LSG Halle vom 29.8.2014 - L 2 AS 226/14 B = NZS 2015, 38). Die Anwendung des neuen Verfahrensrechts führt im Regelfall nicht zu Rechtsnachteilen für den PKH-Antragstellers.

2. § 73a Abs 8 SGG nF steht bei PKH-Aufhebungen einer Statthaftigkeit der Beschwerde nicht entgegen. § 73a Abs 8 SGG nF reicht nicht weiter als § 172 Abs 3 Nr 2 SGG und ist daher teleologisch zu reduzieren, um Wertungswidersprüche zu vermeiden (aA: LSG Halle vom 4.2.2015 - L 8 AS 78/15 B).

 

Tenor

Der Beschluss des Sozialgerichts Dessau-Roßlau vom 10. Dezember 2015 wird aufgehoben.

Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung eines Beschlusses mit Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH).

Am 2. Oktober 2012 hat der Kläger in einem Verfahren auf höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) Klage beim Sozialgericht Dessau-Roßlau (SG) erhoben (S 4 AS 2400/12). Auf seinen Antrag hin hat das SG ihm mit Beschluss vom 2. Januar 2013 ratenfreie PKH bewilligt.

Mit Urteil vom 15. Juli 2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Am 14. September 2015 hat die Prozessbevollmächtigte des Klägers die Kostenfestsetzung in Höhe von 610,59 EUR beim SG beantragt. Die zuständige Urkundsbeamtin des SG hat in einem Vermerk vom 4. Dezember 2015 festgestellt, dass der Kläger über Vermögen verfüge und daher die PKH-Bewilligung aufzuheben sei. Ohne Anhörung des Klägers hat das SG die Bewilligung von PKH mit richterlichem Beschluss vom 10. Dezember 2015 aufgehoben und zur Begründung auf die Sollvorschrift des § 124 Nr. 3 Zivilprozessordnung (ZPO) verwiesen.

Gegen den am 21. Dezember 2015 zugestellten Beschluss hat der Kläger am 20. Januar 2016 Beschwerde eingelegt und zur Begründung ausgeführt: Das SG hätte § 124 Abs. 1 Nr. 3 ZPO aF (bis zum 31. Dezember 2013) anwenden müssen. Darin ergebe sich schon aus dem Wortlaut ("kann") die Pflicht, eine Ermessensentscheidung zu treffen. Die damit verbundene Abwägung habe das SG nicht vorgenommen. Die PKH-Unterlagen seien bereits mit Klageerhebung eingereicht worden. Von daher hätte dem SG zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt sein müssen, dass der Kläger über eine Rentenversicherung mit Guthaben verfügt habe. Vor diesem Hintergrund sei die Aufhebung der PKH-Bewilligung nicht gerechtfertigt, da das Gericht offenbar die unveränderten wirtschaftlichen Verhältnisse des Klägers zu verschiedenen Zeitpunkten nur unterschiedlich bewerte.

Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,

den Beschluss vom 10. Dezember 2015 aufzuheben.

Der Beschwerdegegner beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen sinngemäß ebenfalls,

den Beschluss vom 10. Dezember 2015 aufzuheben.

Der Beschwerdegegner hat ausgeführt: Gemäß § 40 des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung (ZPOEG) unterliege die Prüfung der Aufhebung der PKH der Gesetzeslage vor dem 31. Dezember 2013. Daher sei § 73a Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit §§ 114 - 127 ZPO a.F. anzuwenden. Das SG habe es versäumt, den Kläger anzuhören. Überdies sei nicht von veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen auszugehen. Geändert habe sich lediglich die Bewertung des Schonvermögens durch das Gericht. Es lägen daher keine unrichtigen Angaben der Partei vor, die eine Aufhebung rechtfertigen könnte. Entgegen der Rechtsauffassung des 2. Senats des LSG im Beschluss vom 29. August 2014, L 4 AS 226/14 B (juris) komme es zudem auf die verfahrensrechtliche Unterscheidung von Alt- oder Neuverfahren nicht an, so dass trotz eines sog. Altfalles im konkreten Fall § 73a SGG n.F. anzuwenden sei. Hiernach hätte zunächst der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle und nicht allein der Richter eine Entscheidung in dieser Sache treffen müssen. Die Beschwerdemöglichkeit sei daher in jedem Fall gegeben.

II.

Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere nicht gemäß § 172 Abs. 3 Nr. 2 a Sozialgerichtsgesetz (SGG) ausgeschlossen. Im vorliegenden Fall geht es nicht um die Ablehnung der Bewilligung von PKH, sondern um die nachträgliche Aufhebung einer bewilligten PKH-Entscheidung, die vom Gesetzeswortlaut nicht umfasst wird. Eine entsprechende Anwendung einer den Rechtsschutz ausschließenden Ausnahmeverfahrensvorschrift ist nicht möglich (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 29. August 2014, L 2 AS 226/14 B juris; Bayerisches Landessozialgericht, Beschluss vom 19. August 2015, L 11 AS 533/15 B PKH, juris). Gegen eine analoge Anwendung dieser Norm spricht bereits, dass keine planwidrige Regelung...

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