Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Klagerücknahmefiktion. Betreibensaufforderung. formelle Voraussetzungen. fehlende Klagebegründung. Wegfall des Rechtsschutzinteresses

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zu den formellen Voraussetzungen einer Betreibensaufforderung nach § 102 Abs 2 S 1 SGG.

2. Ein Wegfall des Rechtsschutzinteresses kann nicht alleine aus einer fehlenden Klagebegründung hergeleitet werden, weil diese nicht zwingend vorgeschrieben ist. In einer Gesamtschau der konkreten Umstände des Einzelfalls kann aber dennoch ein Wegfall des Rechtsschutzinteresses angenommen werden, beispielsweise dann, wenn sich der Klagegegenstand nicht feststellen lässt (hier: der zu überprüfende Leistungszeitraum bzw der Grund nicht eindeutig bezeichnet wird).

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 31.08.2021; Aktenzeichen B 4 AS 204/21 B)

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die fiktive Rücknahme einer Klage im Verfahren vor dem Sozialgericht Magdeburg.

Die 1953 geborene Klägerin bezog Arbeitslosengeld bis zum 30. Dezember 2011. Sie lebte von ihrem Ehemann getrennt in einer Mietwohnung. Dieser zahlte ihr aufgrund eines Vergleichs vom 10. November 2011 Trennungsunterhalt i.H.v. 450 €/Monat. Zusätzlich waren ab Dezember 2011 ratenweise Nachzahlungen i.H.v. je 200 €/Monat auf den rückständigen Unterhalt zu leisten. Die Klägerin erzielte Erwerbseinkommen i.H.v. 120 € im Dezember 2011 und i.H.v. 65 € im Januar 2012.

Sie beantragte beim Beklagten Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II) ab dem 31. Dezember 2011. Mit Bescheid vom 29. Dezember 2011 lehnte der Beklagte die Bewilligung von Leistungen für den 31. Dezember 2011 ab. Mit Bescheid vom 18. Januar 2012 bewilligte er Leistungen für die Zeit von Januar bis Juni 2012. Als Einkommen berücksichtigte er Unterhalt i.H.v. 650 €, für Januar 2012 außerdem ein Erwerbseinkommen i.H.v. 185 €.

Daraufhin erhob die Klägerin am 31. Januar 2012 Widerspruch. Das für Januar 2012 angerechnete Erwerbseinkommen habe sie teilweise davor erzielt. Außerdem dürfe der Trennungsunterhalt i.H.v. 200 € nicht angerechnet werden. Denn im Jahr 2011 habe ihr Sohn die Mietzahlungen übernommen; diesen Betrag habe sie zurückzuzahlen.

Mit Änderungsbescheid vom 22. Februar 2012 korrigierte der Beklagte die Anrechnung des Erwerbseinkommens für Januar 2012 und berücksichtigte nur noch Erwerbseinkommen i.H.v. 65 €. Es folgten weitere Änderungsbescheide für die Zeit von Januar bis Juni 2012. Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 12. Dezember 2012 als unbegründet zurück.

Auf die dagegen erhobene Klage (S 21 AS 272/13) verurteilte das Sozialgericht den Beklagten auf dessen Anerkenntnis mit Gerichtsbescheid vom 28. Juni 2017, an die Klägerin insgesamt weitere 123,18 € für den Zeitraum Januar bis Juni 2012 zu zahlen. Im Übrigen wies es die Klage ab. Der Trennungsunterhalt bleibe jedoch nicht teilweise nach § 11a SGB II unberücksichtigt. Die dagegen gerichtete Berufung ist mit Urteil des erkennenden Senats vom 14. Februar 2018 (L 5 AS 503/17) zurückgewiesen worden.

Die Klägerin erhob bereits am 28. November 2012 beim Sozialgericht Magdeburg Untätigkeitsklage (S 21 AS 3872/12) und begehrte unter dem 11. Februar 2014 die Bescheidung ihres Antrags vom 31. Januar 2012 für Dezember 2011 sowie Mai bis Juni bzw. März bis Juni 2011.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 17. März 2014 den Antrag vom 31. Januar 2012 betreffend den Bescheid vom 18. Januar 2012 ab. Es bestehe kein Anspruch für Dezember 2011 wegen der Anrechnung von Einkommen. Für den Zeitraum ab März 2011 werde eine Überprüfung abgelehnt, weil keine Antragstellung vorgelegen habe. Dagegen legte die Klägerin am 20. März 2014 Widerspruch ein und rügte, von dem Trennungsunterhalt dürften 200 € nicht angerechnet werden. Eine Angabe über den maßgeblichen Zeitraum enthielt das Schreiben nicht. Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. April 2014 wegen „Ablehnung der Überprüfung des Bescheids vom 18.01.2012 (Höhe der Leistungen für den Zeitraum vom 01.01.2012 bis zum 30.6.2012)“ zurück.

Dagegen hat die Klägerin am 28. April 2014 Klage beim Sozialgericht Magdeburg gehoben (S 21 AS 1305/14). Auch nach mehreren Aufforderungen hat sie keine Begründung vorgelegt.

Die Kammervorsitzende hat die Klägerin unter dem 2. März 2016 aufgefordert, die Klage innerhalb von drei Monaten zu begründen und hat auf die Rechtsfolgen in § 102 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) verwiesen. Sowohl die Verfügung als auch das Anschreiben sind von der Kammervorsitzenden eigenhändig unterschrieben worden. Das Anschreiben ist der Klägerin am 10. März 2016 zugestellt worden. Mit Verfügung vom 13. Juni 2016 ist das Verfahren als zurückgenommen statistisch ausgetragen worden.

Am 21. Juni 2016 hat die Klägerin mitgeteilt, dass sie die Klage nicht zurückgenommen habe. Vorsorglic...

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