Entscheidungsstichwort (Thema)
Sozialgerichtliches Verfahren. Voraussetzungen einer Zurückverweisung der Streitsache an die Verwaltung. Erheblichkeit der noch durchzuführenden Ermittlungen und Sachdienlichkeit der Aufhebung der Verwaltungsentscheidung
Leitsatz (amtlich)
1. Allein das Einholen eines Sachverständigengutachtens ist für das Gericht regelmäßig nicht mit einem erheblichen Aufwand verbunden; das gilt erst recht für das Einholen von Befundberichten. Solche Ermittlungen sind für die alltägliche Arbeit der Sozialgerichte geradezu typisch, weshalb sie auch in § 106 Abs 3 Nr 5 SGG beispielhaft aufgezählt sind.
2. In kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungssachen ist unter Berücksichtigung der Belange der Beteiligten zu beachten, dass die durch die Aufhebungs- und Zurückverweisungsentscheidung nach § 131 Abs 5 SGG eintretende Verzögerung jedenfalls den Rechtsuchenden insoweit belastet, als er die begehrte Entscheidung, hier die Feststellung eines höheren GdB ohne Sachentscheidung des Gerichts, (vorerst) nicht erlangt.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 7. Mai 2009 wird aufgehoben und der Rechtsstreit an das Sozialgericht Halle zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt dem Sozialgericht vorbehalten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des Grades der Behinderung (GdB) umstritten sowie die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Zuerkennung der Merkzeichen G ("Erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr") und B ("Auf ständige Begleitung bei der Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln angewiesen") im Sinne des Neunten Buches Sozialgesetzbuch - Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen - SGB IX).
Der am ... 2001 geborene Kläger beantragte über seine gesetzliche Vertreterin erstmals am 16. Juli 2007 die Feststellung von Behinderungen nach dem SGB IX. Dem Antrag beigefügt waren u. a. ein Schreiben des Landesverwaltungsamtes Referat Förderschulen vom 9. Mai 2007, wonach die Beschulung an der Förderschule für Geistigbehinderte A. in H. erfolgen solle, und ein sonderpädagogisches Gutachten vom 17. April 2007, wonach der Kläger sonderpädagogische Betreuung für seine geistige Entwicklung benötige. Es liege eine starke Entwicklungsverzögerung vor. Der Beklagte holte einen Befundbericht der behandelnden Fachärztin für Kinderheilkunde Dr. K. vom 24. Juli 2007 ein. Hiernach besteht bei dem Kläger eine mentale, motorische und sprachliche Retardierung. Dem Bericht war ein Schreiben der Frühförderstelle der L. e. V. H. vom 26. August 2005 beigefügt. Der Ärztliche Dienst des Beklagten (Frau Dr. S.) kam zu der Einschätzung, die bestehende Entwicklungsstörung bedinge einen GdB von 40. Mit Bescheid vom 7. November 2007 stellte der Beklagte bei dem Kläger ab dem 16. Juli 2007 einen Gesamtgrad der Behinderung von 50 fest und bezog sich auf die Entwicklungsstörung.
Hiergegen legte die gesetzliche Vertreterin des Klägers am 21. November 2007 Widerspruch ein und führte aus, es liege nicht nur eine Entwicklungsstörung vor, sondern es gehe auch um die Nachwirkungen einer Epilepsie. Zudem sei das Merkzeichen G zuzuerkennen, da der Kläger auf Begleitung im öffentlichen Verkehr angewiesen sei. Auf die Befundabfrage des Beklagten übersandte die M.Universität H.-W., Zentrum für Kinderheilkunde, die dortigen Arztbriefe vom 13. März 2002, 15. Mai 2002, 14. Mai 2003 und 3. Februar 2004. Der Facharzt für Kinderheilkunde Dipl.-Med. A. teilte mit, den Kläger seit August 2002 nicht mehr zu behandeln. Der erneut beteiligte Ärztliche Dienst des Beklagten (Dr. E.) kam nach Auswertung der Befunde zu der Einschätzung, der GdB sei nicht zu erhöhen. Es liege kein ausreichender ärztlicher oder psychologischer Befund zum Ausmaß der Entwicklungsverzögerung einschließlich der mentalen Retardierung vor. Daher werde die Heranziehung eines Befundes zu den Entwicklungsquotienten bzw. zum Entwicklungsalter und/oder zum Intelligenzquotienten empfohlen. Der Vater des Klägers teilte auf telefonische Anfrage am 21. April 2008 mit, sein Sohn befinde sich zurzeit lediglich in kinderärztlicher Behandlung. Der Beklagte holte daraufhin von der Förderschule für Geistigbehinderte A. einen Entwicklungsbericht der Klassenlehrerin vom 10. Juni 2008 ein; des Weiteren vom Gesundheitsamt der Stadt H. (Dr. B.) einen Befundbericht vom 12. August 2008. Dr. B. diagnostizierte eine mittelgradige Intelligenzminderung, eine Sprachentwicklungsstörung, groß- und feinmotorische Retardierung und einen Zustand nach Anfallsleiden, zurzeit ohne Anfälle. Der Kläger sei ein Frühgeborenes aus der 32. Schwangerschaftswoche mit Atemnotsyndrom und Beatmung. Beigefügt war ein Schreiben der Fachärzte für HNO-Heilkunde Dres. W. vom 30. Mai 2007 und der Entlassungskurzbrief des Krankenhauses St. E. vom 16. Mai 2007. In Auswertung der Befunde kam der Ärztliche Dienst des Beklagten (Dr. W.) zu der Einschätzung, beim Kläger liege neben der geistigen Behinderung mit einem Einzel-Gd...