Entscheidungsstichwort (Thema)
Rentenversicherung. Altersrente. Verrechnung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen, Umlagen, Säumniszuschlägen sowie Kosten und Gebühren der Zwangsvollstreckung. Beitragsansprüche iSv § 51 Abs 2 SGB 1. Erklärung durch Verwaltungsakt. keine Beachtung der Pfändungsgrenzen
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Verrechnung kann durch Bescheid iS von § 31 SGB 10 vorgenommen werden (vgl BSG Beschluss vom 5.2.2009 - B 13 R 31/08 R, Vorlagebeschluss vom 25.2.2010 - B 13 R 76/09 R und Beschluss des Großen Senats des BSG vom 31.8.2011 - GS 2/10 = BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4). Das Gesetz beschränkt die Aufrechnung nicht auf Beitragsansprüche, die aus einer Versicherung des Leistungsberechtigten entstanden sind. Sozialversicherungsbeiträge iSv § 51 Abs 2 SGB 1 sind alle Geldleistungspflichten, die Privaten zur Finanzierung der öffentlichen Leistungsträger der Sozialversicherung auferlegt werden. Maßgeblich ist nur, ob der Leistungsberechtigte durch eine Verrechnung von einer Beitragszahlungsverpflichtung entlastet wird.
2. Die Pfändungsgrenzen des § 54 Abs 3 bis 5 SGB 1 müssen bei der Verrechnung gemäß § 52 iVm § 51 Abs 2 SGB 1 nicht beachtet werden. Ferner stehen § 114 bzw § 96 InsO einer Verrechnung nicht entgegen.
Tenor
Das Urteil des Sozialgerichts Magdeburg vom 19. August 2011 sowie der Bescheid der Beklagten vom 4. Dezember 2008 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 28. Mai 2009 und des Bescheides vom 24. Februar 2011 werden hinsichtlich der aufgrund der Verrechnung bis zum 31. März 2011 einbehaltenen Beträge aufgehoben. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers im Klageverfahren. Im Berufungsverfahren sind keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten ist umstritten, ob die Beklagte die Altersrente des Klägers mit einer Forderung der Beigeladenen gegen den Kläger wegen ausstehender Gesamtsozialversicherungsbeiträge nebst Umlagen, Säumniszuschlägen und Gebühren verrechnen kann.
Der am ... 1935 geborene Kläger war Inhaber einer Elektroeinzelfirma. Mit Beschluss des Amtsgerichts M. vom 7. Juni 2001 wurde über sein Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet. Die Beigeladene meldete eine Insolvenzforderung in Höhe von 26.358,13 EUR zum Insolvenzverfahren an, die ausweislich des Schlussverzeichnisses vom 29. August 2008 von der Insolvenzverwalterin anerkannt wurde. Am 25. Juli 2001 stellte der Kläger einen Antrag auf Erteilung einer Restschuldbefreiung gemäß § 287 Insolvenzordnung (InsO).
Der Kläger bezieht von der Beklagten, der Rechtsnachfolgerin der Landesversicherungsanstalt Sachsen-Anhalt, seit dem 1. Februar 2000 Regelaltersrente. Zudem erhält er seit 1. April 1994 Witwerrente vom zuständigen Träger der Rentenversicherung, von der ab 1. August 2009 vom monatlichen Zahlbetrag in Höhe von 404,60 EUR ein Betrag in Höhe von 213,00 EUR monatlich als pfändbarer Betrag an die Insolvenzverwalterin abgeführt wird (Bescheid der Deutschen Rentenversicherung Bund vom 16. Juni 2009).
Mit Schreiben vom 21. Juli 2008 ermächtigte die Beigeladene die Beklagte zur Verrechnung der Rente des Klägers mit einer bestandskräftig festgestellten und nicht verjährten Forderung gegen den Kläger in Höhe von 37.495,13 EUR. Dieser Betrag setze sich zusammen aus ausstehenden Gesamtsozialversicherungsbeiträgen gemäß § 28d Viertes Buch Sozialgesetzbuch (Gemeinsame Vorschriften für die Sozialversicherung - SGB IV) in Höhe von 23.030,71 EUR sowie Umlagebeträgen (U 1 und U 2) in Höhe von 1.018,63 EUR für die Zeit vom 22. August 2000 bis zum 6. Juni 2001, des Weiteren aus Säumniszuschlägen in Höhe von 13.313,57 EUR, Mahngebühren in Höhe von 57,57 EUR und Kosten sowie Gebühren in Höhe von 74,65 EUR, jeweils für die Zeit vom 22. August 2000 bis zum 21. Juli 2008.
Mit Schreiben vom 28. Juli 2008 teilte die Beklagte dem Kläger mit, sie beabsichtige, die Forderung der Beigeladenen in Höhe von 37.495,13 EUR zuzüglich weiterer Säumniszuschläge und Zinsen mit dem Anspruch auf laufende Rentenzahlungen in Höhe der Hälfte des monatlichen Zahlbetrages in Höhe von 855,00 EUR, d.h. 431,54 EUR, zu verrechnen. Dem Kläger werde Gelegenheit zur Äußerung und Vorlage einer Bedarfsbescheinigung des Sozialhilfeträgers oder der Agentur für Arbeit als Nachweis für die durch die Verrechnung eintretende Hilfebedürftigkeit im Sinne der Vorschriften des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende - SGB II) oder Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe - SGB XII) gegeben. Mit Schreiben vom 13. August und 26. August 2008 teilte der Kläger mit, die beabsichtigte Verrechnung erachte er - unter Bezugnahme auf den Beschluss des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 29. Mai 2008 (IX ZB 51/07) - als nicht zulässig. Ausweislich der InsO würden nur solche Aufrechnungslagen geschützt, die zum Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung bestanden hätten (§ 94 InsO). Eine nach Insolvenzeröffnung erteilte Ermächtigung sei ...