Entscheidungsstichwort (Thema)
Bundesknappschaft. Krankenversicherung. Kostenübernahme einer künstlichen Befruchtung nach erfolgter Sterilisation
Orientierungssatz
1. Die Regelung bzw Klarstellung in § 27 Abs 1 S 4 SGB 5, dass zur Krankenbehandlung nur Leistungen zur Refertilisierung gehören, wenn die Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verlorengegangen war, betrifft direkt nur den Leistungsfall der Krankenbehandlung.
2. Weder aus der Systematik noch aus der Entstehungsgeschichte des § 27a SGB 5 lässt sich ableiten, dass der Gesetzgeber den Anspruch auf eine künstliche Befruchtung einem Ehepaar versagen wollte, bei dem der Grund der Kinderlosigkeit eine vorherige freiwillige Sterilisation eines Ehepartner ist.
3. Die untergesetzliche Vorschrift in Nr 2 S 4 und 5 der Richtlinien über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung, wonach bei einer Sterilisation grundsätzlich kein Anspruch auf Leistungen zur künstlichen Befruchtung bestehe, ist rechtswidrig und somit unbeachtlich.
Nachgehend
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für eine künstliche Befruchtung mittels einer In-Vitro-Fertilisation (IVF) in Verbindung mit einem Verfahren der Intrazytoplasmatischen-Spermien-Injektion (ICSI).
Die ... 1975 geborene Klägerin und der ... 1968 geborene Kläger sind miteinander verheiratet. Die Klägerin hat zwei Kinder in die Ehe eingebracht. ... 1997 wurde das gemeinsame Kind M geboren. Der Kläger ließ sich im Dezember 1997 freiwillig sterilisieren. Im April 2001 wurde beim Kläger eine Vaso-Vasostomie (Zusammenlegung der Samenleiter) zur Wiederherstellung der Zeugungsfähigkeit durchgeführt, welche nicht erfolgreich war.
Am 14. Dezember 2001 stellten die Kläger bei ihrer gemeinsamen Krankenkasse, der Beklagten, den Antrag auf Kostenübernahme für eine IVF-Behandlung in Zusammenhang mit der Durchführung der ICSI. Dabei verwiesen sie auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 3. April 2001, wonach die gesetzlichen Krankenkassen verpflichtet sind, die Kosten auch für das ICSI-Verfahren zu übernehmen. Dem Antrag war eine Bescheinigung von Dr. K beigefügt, wonach die Behandlung medizinisch notwendig sei. In einem Befundbericht von Prof. R/Dr. K berichteten die Ärzte über den starken Wunsch der Kläger nach einem zweiten gemeinsamen Kind. Das Spermiogramm vom 12. Oktober 2001 habe beim Kläger eine völlige Azoospermie (Fehlen von Spermien) ergeben. Die einzige Chance des Ehepaares, noch zu einem gemeinsamen Kind zu kommen, sei eine operative Samengewinnung mit anschließender ICSI-Behandlung.
Mit Bescheid vom 11. April 2002 lehnte die Beklagte unter Hinweis auf die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen die Kostenübernahme ab. Danach bestehe nach einer Sterilisation grundsätzlich kein Anspruch auf Leistungen zur künstlichen Befruchtung.
Mit Widerspruch vom 13. April 2002 wandten sich die Kläger gegen diesen Bescheid. Sie verwiesen darauf, dass sich der Kläger unter Zeitdruck zu der Sterilisation entschieden habe. Diese Entscheidung sei der größte Fehler ihres Lebens gewesen. Dies sei ihnen insbesondere während einer schweren Krankheit des gemeinsamen Sohnes zum Bewusstsein gekommen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 10. Juni 2002 wies die Beklagte den Widerspruch der Kläger zurück.
Hiergegen haben die Kläger am 17. Juni 2002 Klage beim Sozialgericht Halle erhoben. Die Kläger haben betont, wie wichtig es für sie sei, ein weiteres Kind zu bekommen.
Die Beklagte hat darauf verwiesen, dass auch die Kosten für eine Refertilisierung nach der Rechtsprechung des BSG nicht von der gesetzlichen Krankenkasse übernommen werden müssten.
Auf Anfrage des Sozialgerichts hat Dr. K in einem Schreiben vom 1. Oktober 2002 mitgeteilt, der Kläger habe 1997 eine normale Fertilität aufgewiesen. Das jetzige Fehlen von Spermien müsse auf die damalige Vasektomie und die nichtgeglückte Refertilisierung zurückgeführt werden.
Mit Urteil vom 22. Januar 2003 hat das Sozialgericht den Bescheid der Beklagten vom 11. April 2002 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 10. Juni 2002 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, die Kosten für eine künstliche Befruchtung mittels ICSI nebst hormoneller Vorbehandlung zu übernehmen. Die Voraussetzungen von § 27 a SGB V seien gegeben. Es komme nicht darauf an, aus welchem Grund das Paar unfähig sei, auf natürlichem Wege Kinder zu zeugen.
Das Urteil wurde am 30. Januar 2003 zur Post gegeben. In dem am 10. Februar 2003 beim Sozialgericht eingegangenen Empfangsbekenntnis lautet das eingetragene Zustelldatum 4. Januar 2003. Am 25. Februar 2003 hat die Beklagte gegen das Urteil Berufung eingelegt. Sie verweist auf die Richtlinien des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen über ärztliche Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung in der Neufassung 2002. Danach zähle nunmehr die ICSI-Behandlung zu den vertragsärztlichen Leistungen. Ausgeschlossen sei sie ...