Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. Krankenhausvergütung. Nichterfüllung von Mindestanforderungen einer Qualitätssicherungsrichtlinie. kein automatischer Vergütungsausschluss. Regelungskompetenz des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA). vollständiger Wegfall des Vergütungsanspruchs nur dann, wenn in der einschlägigen Richtlinie oder im Gesetz vorgesehen
Leitsatz (amtlich)
1. § 137 Abs 1 SGB V in der ab dem 1. Januar 2016 gültigen Fassung steht einem Automatismus zwischen Nichterfüllung von Anforderungen aus Qualitätssicherungsrichtlinien und vollständigem Vergütungsausschluss entgegen.
2. Es obliegt der Regelungskompetenz des G-BA, ob er jede in einer Richtlinie nach § 136 Abs 1 Satz 1 Nr 2 SGB V enthaltene Vorgabe als Mindestanforderung mit der Folge eines Vergütungswegfalls bei Nichterfüllung einstuft oder dies unterlässt bzw. weitere Differenzierungen vornimmt.
3. Ein vollständiger Wegfall des Vergütungsanspruchs als schärfstes Sanktionsmittel kann nur dann Folge einer Nichterfüllung von Mindestanforderungen sein, wenn dies die jeweils einschlägige Einzelrichtlinie des G-BA unter speziell geregelten und im betreffenden Einzelfall erfüllten Voraussetzungen themenspezifisch vorsieht. Etwas anderes gilt nur, wenn das Gesetz einen Vergütungswegfall - wie zB in § 136b Abs 5 Satz 2 SGB V hinsichtlich eines Verstoßes gegen Mindestmengenregelungen - selbst vorgibt.
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Urteils des Sozialgerichts Halle vom 13. Juli 2021 verurteilt, der Klägerin 33.230,72 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 % jährlich seit dem 14. Februar 2017 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Verfahrenskosten beider Rechtszüge.
Die Revision wird zugelassen.
Der Gegenstandswert wird auf 33.230,72 € festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist, ob ein Vergütungsanspruch wegen teilweiser Nichteinhaltung von Anforderungen der Richtlinie zu minimalinvasiven Herzklappeninterventionen (MHI-RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) zur Gänze ausgeschlossen ist.
Die seinerzeit bei der Beklagten gesetzlich krankenversicherte E. R. (nachfolgend die Versicherte) wurde in dem von der Klägerin betriebenen Klinikum, das in den Krankenhausplan des Landes Sachsen-Anhalt aufgenommen ist, vom 11. bis 18. Januar 2016 stationär behandelt. Nach dem Entlassungsbericht der Universitätsklinik und Poliklinik für Innere Medizin III vom 18. Januar 2016 erfolgte die stationäre Aufnahme der Versicherten zur geplanten Mitraclipimplantation bei hochgradiger funktioneller Mitralklappeninsuffizienz mit konsekutiver pulmonaler Hypertonie und deutlicher Rechtsherzbelastung. Der entsprechende Eingriff erfolgte am 13. Januar 2016.
Für die Behandlung rechnete die Klägerin gegenüber der Beklagten unter dem 28. Januar 2016 auf Grundlage der Hauptdiagnose l34.0 (Mitralklappeninsuffizienz) sowie u.a. des OPS 5-35a.41 (Mitralklappenrekonstruktion transvenös, inkl. transvenöse Cliprekonstruktion) die DRG F98C (Komplexe minimalinvasive Operationen an Herzklappen ohne minimalinvasiven Eingriff an mehreren Herzklappen, ohne hochkomplexen Eingriff, ohne komplexe Diagnose, Alter ] 15 Jahre, ohne sehr komplexen Eingriff) i.H.v. insgesamt 33.150,72 € (abzüglich der Selbstbeteiligung der Versicherten i.H.v. 80,00 €) ab.
Die Beklagte beglich diesen Betrag zunächst, forderte mit Schreiben vom 31. Januar 2017 jedoch Rückzahlung von 33.230,72 € (inklusive der Selbstbeteiligung der Versicherten). Aufgrund einer Prüfung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MD) sei festgestellt worden, dass bei der Klägerin vom 25. Juli 2015 bis zum 24. März 2016 die nach der MHI-RL nötigen strukturellen Voraussetzungen zur Leistungserbringung nicht erfüllt gewesen seien. Am 13. Februar 2017 verrechnete die Beklagte 33.230,72 € mit unstrittigen Forderungen der Klägerin aus anderen Behandlungsfällen.
Am 23. Dezember 2019 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Halle Klage erhoben. Nach den §§ 137 Abs. 1 Satz 2, 136b Abs. 9 Satz 2 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) könne ihr Vergütungsanspruch nur entfallen, wenn dies in der jeweiligen Qualitätssicherungsrichtlinie des G-BA ausdrücklich geregelt sei. Dies sei hier nicht der Fall. Jedenfalls stehe ihr ein Anspruch in Höhe wirtschaftlichen Alternativverhaltens im Sinne der DRG F03F zu.
Die Beklagte hat wiederholt, bei der Klägerin hätten zum Behandlungszeitpunkt nicht die Voraussetzungen von § 5 Abs. 10 MHl-RL vorgelegen. Danach sei in Krankenhäusern mit einer Fachabteilung für Herzchirurgie eine herzchirurgische Versorgung durch permanente Präsenz eines Operationsdienstes sicherzustellen, wobei der Operationsdienst über herzchirurgische Erfahrung verfügen müsse. Die Nichteinhaltung der Vorgaben einer Qualitätssicherungsrichtlinie habe einen vollständigen Vergütungsverlust zur Folge (Hinweis auf Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 1. Juli 2014 - B 1 KR 15/13 R - juris). Aus der MHl-RL folge bei Nichteinhaltung von Qualitätsanforderungen auch kein Anspruch auf anteilige Vergütung. Auch ...