Entscheidungsstichwort (Thema)
Krankenversicherung. kein Anspruch auf glutenfreie Diätnahrung. Verfassungsmäßigkeit
Leitsatz (amtlich)
Glutenfreie Diätnahrung gehört nicht zum Leistungskatalog des SGB V; ihre fehlende Einbeziehung verstößt nicht gegen Verfassungsrecht.
Orientierungssatz
1. Zur Abgrenzung des Arzneimittel- vom Lebensmittelbegriff vgl BSG vom 28.2.2008 - B 1 KR 16/07 R = BSGE 100, 103 = SozR 4-2500 § 31 Nr 9.
2. Zur Verfassungsmäßigkeit der fehlenden Einbeziehung glutenfreier Lebensmittel in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, die nicht die Qualität von bilanzierten Diäten aufweisen, vgl BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 20/10 R = BSGE 109, 218 = SozR 4-2500 § 31 Nr 20.
Tenor
Die Berufung wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Streitig ist die Übernahme von Mehrkosten für eine glutenfreie Ernährung.
Die im November 2002 geborene und bei der Beklagten gesetzlich familienversicherte Klägerin beantragte im September 2010 die Übernahme von Mehrkosten für eine glutenfreie Ernährung, die sich auf ca. 250,00 EUR monatlich beliefen. Aus einem beigefügten ärztlichen Attest vom 13. September 2010 ging die Diagnose Zöliakie hervor; die Klägerin bedürfe lebenslang glutenfreier Diät. Der daraufhin von der Beklagten eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Sachsen-Anhalt verwies (nach Beiziehung weiterer Unterlagen) unter dem 17. Januar 2011 auf § 6 der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL), wonach Lebensmittel, Nahrungsergänzungsmittel, sogenannte Krankenkost und diätetische Lebensmittel einschließlich Produkten für Säuglinge oder Kleinkinder von der Versorgung nach § 27 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) ausgeschlossen seien. Gesetzliche Ausnahmen für die Zöliakie bestünden nicht. Eine lebenslange glutenfreie Diät sei in der Regel nicht mit Mehrkosten verbunden. Eventuell komme eine Übernahme etwaiger Mehrkosten durch kommunale Träger in Betracht.
Mit Bescheid vom 24. Januar 2011 lehnte die Beklagte daraufhin eine Kostenübernahme ab. Hiergegen erhob die Klägerin unter dem 4. Februar 2011 mit der Begründung Widerspruch, eine glutenfreie Ernährung bedinge sehr wohl Mehrkosten. Mit Widerspruchsbescheid vom 5. April 2011 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück.
Am 19. April 2011 hat die Klägerin vor dem Sozialgericht (SG) Halle Klage erhoben, die von ihr veranschlagten Mehrkosten näher aufgeschlüsselt und die Ansicht vertreten, es liege Vergleichbarkeit mit einer enteralen Ernährung vor, deren Kosten von den Krankenkassen übernommen würden.
Die Beklagte hat gemeint, glutenfreie Lebensmittel gehörten nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung. Sie seien auch nicht mit einer enteralen Ernährung vergleichbar. Eine solche werde bei Schluckstörungen, onkologischen, neuropsychiatrischen oder Erkrankungen des Stoffwechsels bzw. einer drohenden Mangelernährung verordnet. Nach § 20 Satz 3 AM-RL seien nur solche Diätnahrungsmittel verordnungsfähig, ohne deren Zufuhr schwere geistige oder körperliche Beeinträchtigungen zu befürchten seien und daher eine Intervention mit ergänzenden bilanzierten Diäten medizinisch notwendig sei. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) seien Kosten für diätetische Nahrung selbst dann nicht zu übernehmen, wenn dadurch der Einsatz enteraler Ernährung vermieden werde. Etwas anderes gelte nur bei einer lebensbedrohlichen Situation (Urteil vom 5. Juli 2005 - B 1 KR 12/03 R - juris). Zudem beschränke sich die Leistungspflicht der Krankenkassen auf Maßnahmen, die gezielt der Krankheitsbekämpfung dienten. Mehrkosten und andere Lasten, die der Versicherte wegen der Krankheit im täglichen Leben habe, seien der allgemeinen Lebenshaltung zuzurechnen und nicht erstattungsfähig (BSG, Urteil vom 9. Dezember 1997 - 1 RK 23/95 - SozR 3-2500 § 27 Nr. 9).
Auf entsprechende Anfrage des SG hat die Klägerin mitgeteilt, sie erfülle weder die Anspruchsvoraussetzungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) noch nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe (SGB XII).
Mit Gerichtsbescheid vom 11. Juli 2014 hat das SG die Klage abgewiesen und hierzu in den Gründen ausgeführt: Für das Anliegen der Klägerin existiere keine Anspruchsgrundlage. Glutenfreie Nahrungsmittel zählten weder zu Arznei- noch Heilmitteln, für die ein Versorgungsanspruch nach § 27 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 SGB V bestehe. Sie seien auch nicht ausnahmsweise als Teil enteraler Ernährung von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung umfasst. Diese verfolge nicht das Ziel, den Versicherten umfassend vor krankheitsbedingten Nachteilen zu schützen (BSG, Urteil vom 9. Dezember 1997 - 1 RK 23/95 - a.a.O.).
Gegen den ihr am 21. Juli 2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 12. August 2014 beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt unter Wiederholung ihres Vorbringens Berufung eingelegt. ...