Entscheidungsstichwort (Thema)

Schwerbehindertenrecht. GdB-Feststellung. Versorgungsmedizinische Grundsätze. somatoforme Schmerzstörung. Fibromyalgie. Funktionsbereich Psyche. keine Doppelbewertung in anderen Bereichen

 

Leitsatz (amtlich)

Anhaltende Schmerzen ohne organischen Erklärung sind unabhängig von der Diagnose (somatoforme Schmerzstörung, chronifiziertes Schmerzsyndrom, Fibromyalgie) im Funktionssystem Gehirn einschließlich Psyche zu erfassen. Eine Doppelbewertung der damit verbundenen schmerzbedingten Funktionseinschränkungen in den Funktionssystemen Rumpf, Beine und Arme ist unzulässig.

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von 50.

Die im Juni 1960 geborene Klägerin beantragte am 16. Juni 2008 beim Beklagten die Feststellung von Behinderungen wegen folgender Erkrankungen: Schwerhörigkeit beidseits, chronische Schmerzkrankheit, Polyarthrosen, Fersensporn, Einschränkungen des Bewegungsapparates, Ischialgien, Asthma bronchiale, Gebärmutterentfernung. Im Verwaltungsverfahren lag die Epikrise der Klinik B. W. vom 20. Dezember 2005 vor, mit der ein sensibles Reizsyndrom C7 links nach einem im Jahr 2005 erlittenen Verkehrsunfall sowie eine somatoforme Schmerzstörung (Differenzialdiagnose Fibromyalgie) diagnostiziert worden waren. Nach dem Bericht des J.-Krankenhauses T. vom 8. August 2006 leide die Klägerin an Fibromyalgie mit somatoformer Schmerzstörung und einem depressiven Syndrom. Am 1. Februar 2007 hatte die Fachärztin für Anästhesiologie Dr. T. (W.-krankenhaus B. D.) über einen chronifizierten Rückenschmerz bei degenerativer Wirbelsäulenveränderung, Übergewicht und mangelnder sportlicher Betätigung berichtet. Begleitend liege erschwerend eine somatoforme Schmerzstörung vor. Nach dem Arztbrief des Städtischen Klinikums D. vom 5. April 2007 sei im März 2007 die Hysterektomie erfolgt. Der Beklagte zog außerdem das für den Rentenversicherungsträger erstattete Gutachten des Dr. M., Chefarzt der Rehabilitationsklinik B. S., vom 16. Februar 2007 bei. Danach hätten sich nur geringe Funktionseinschränkungen im Wirbelsäulenbereich bzw. im Bereich der oberen und unteren Extremitäten gezeigt, so dass von orthopädischer Seite keine wesentliche Einschränkung resultiere. Zum orthopädischen Befund hatte er festgestellt: Flüssiges Gangbild ohne orthopädische Hilfsmittel; Halswirbelsäule (HWS): Rotation 50/0/75 Grad nach der Neutral-Null-Methode; Lendenwirbelsäule (LWS): Fingerbodenabstand (FBA) 10 cm, Schober 10/14,5 cm, Ott 30/33 cm; obere Extremitäten: alle Gelenke frei beweglich; Hüftgelenke: Extension/Flexion 0/0/130 Grad beidseits; Kniegelenke Extension/Flexion 0/0/140 Grad. Neurologische Einschränkungen lägen nicht vor. Es bestünden aber deutliche Hinweise für einen psychosomatischen Symptomenkomplex. Nach dem ebenfalls im Rentenverfahren eingeholten Gutachten des Facharztes für Neurologie/Psychiatrie/Naturheilverfahren Dr. S. vom 27. Juni 2007 leide die Klägerin an einer anhaltenden somatoforme Schmerzstörung. Für die geltend gemachten Schmerzbeschwerden habe sich kein Korrelat finden lassen. Die LWS sei frei beweglich gewesen. Es hätten sich weder klinisch noch paraklinisch Hinweise für eine Irritation des peripheren oder zentralen Nervensystems gefunden. Die Teilhabemöglichkeiten am Leben bzw. die psychischen Freiheitsgrade der Klägerin seien nicht derart hochgradig eingeengt, dass sie nicht für mindestens sechs Stunden und mehr einer beruflichen Tätigkeit nachgehen könne. Weiterhin lag im Verwaltungsverfahren der Reha-Entlassungsbericht B. S. über den stationären Aufenthalt vom 12. März bis 9. April 2008 mit folgenden Diagnosen vor: Anhaltende somatoforme Schmerzstörung, rezidivierende Cervicobrachialgie beidseits ohne radikuläre Defizite, beginnende Coxarthrose beidseits, Asthma bronchiale, Hallux rigidus rechts. Folgende Befunde waren erhoben worden: Flüssiges Gangbild, sichere Beweglichkeit in beiden oberen und unteren Extremitäten, mäßige Haltungsschwäche im Stehen; HWS: Seitneigung rechts/links 30/0/30 Grad, Rotation rechts/links 50/0/70 Grad; LWS: Seitneigung rechts/links 30/0/30 Grad, Rotation rechts/links 45/0/45 Grad, FBA 10 cm; Kniegelenke frei beweglich; Hüftgelenke beidseits Extension/Flexion 0/0/130 Grad. Schließlich lag der Arztbrief des Facharztes für HNO-Heilkunde Dipl.-Med. M. einschließlich des Ton- und Sprachaudiogramms vom 29. Mai 2008 vor. Danach leide die Klägerin an einer beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit.

In Auswertung dieser Unterlagen schlug der beteiligte ärztliche Dienst des Beklagten (Dr. H.) für die somatoforme Schmerzstörung/chronifiziertes Schmerzsyndrom und die Hörbehinderung jeweils einen GdB von 20 sowie einen Gesamt-GdB von 30 vor. Dem folgend stellte der Beklagte mit Bescheid vom 23. Juli 2008 bei der Klägerin einen GdB von 30 fest. Dagegen erhob die Klägerin am 18. August 2008 Widerspruch und trug im Wesentlichen vor: Sie...

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